Der Autor untersucht in dieser kulturwissenschaftlichen Studie die gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen der Mittelalterrezeption in der deutschen Literaturgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts. Er zeigt, wie die Forschungsergebnisse und Editionen der deutschen Philologen von Literaturhistorikern zum Zwecke einer Nationalliteraturgeschichtsschreibung übernommen wurden und auf diese Weise ein Geschichtsbild schufen, das die Historiografen aufgrund einer anfänglich propagierten Quellenengführung nicht evozieren konnten oder wollten. Das Geschichtsbild der Literaturhistoriografie war hingegen von Beginn an in der Lage, einen deutschen Nationalmythos zu schaffen, Traditionen zurück in "uralte" Zeiten herzustellen und aufgrund des Primats der Poesie als "wahre Geschichtsschreibung" tröstend die Zeiten einer nichtexistenten deutschen Nation zu überbrücken, indem sie ersatzweise eine Kulturnation als mentale Nation imaginierte und das Mittelalter als positiven Bezugspunkt für Gegenwart und Zukunft auserkor. Die Reichsgründung 1871 war schließlich nur noch die konsequente Umsetzung dessen, was die Nationalliteraturgeschichtsschreibung jahrzehntelang vorbereitet hatte.
Inhaltsverzeichnis
Aus dem Inhalt: Nationalliteraturgeschichtsschreibung im Kontext von Mentalitä ten und Zeitgeist - Mittelalterrezeption und Meistererzä hlungen als Sinnstiftung von Identitä t, Tradition und Erbe - Romantik und das Primat der Poesie - Brü der Grimm als Leitphilologen - Preuß en, Deutschland und das Mittelalter - Literaturhistoriker und Leserschaft - Sä ngerkrieg auf der Wartburg und die Kaiserpfalz in Goslar - Richard Wagner und das Mittelalter - Preuß ische Herrschaftslegitimation.