Ungarn 1956: Die Panzer rollen, der Aufstand schlägt fehl, die Hoffnung scheitert, daß die Welt eine andere hätte werden können. Ohne ein Wort verläßt Katalin ihre Familie und flüchtet über die Grenze in den Westen. Ihr Mann Kálmán verkauft Haus und Hof und zieht fortan mit den Kindern Kata und Isti durch das Land.
Während Kálmán in Schwermut verfällt, errichten sich Kata und ihr kleiner Bruder Isti ihre eigene Welt: Isti hört, was die Dinge zu erzählen haben - das Haus, die Steine, die Pflanzen, der Schnee -, während Kata den Geschichten der Menschen zuhört, denen sie auf ihrer jahrelangen Reise begegnet. Der genaue Blick der Kinder trifft auf eine Welt, die sie nicht verstehen. Nur wenn sie am Wasser sind, an Flüssen, an Seen, wenn sie dem Vater zusehen, wie er seine weiten Bahnen zieht und wenn sie selber schwimmen - nur dann finden sie verzauberte Momente der Leichtigkeit und des Glücks. Beide ahnen, dass ihr Leben erst beginnt.
Packende Schöpfungskraft "Von mir ist nur der Blick auf die Dinge in diesem Buch" - mit diesen Worten verblüfft Zsuzsa Bank all jene, die das Debut der 1965 geborenen Frankfurterin als "ungeheuer authentisch" und als "wie wirklich erlebt" gelesen und genossen haben. "Der Schwimmer" heißt der Roman, für den die hoffnungsvolle Nachwuchsautorin den diesjährigen Aspekte-Literaturpreis verliehen bekommen und schon einige lobpreisende Besprechungen geerntet hat. Vor der Folie des Ungarn-Aufstandes 1956 erzählt Zsusza Bank in "Der Schwimmer" von einer "Restfamilie", die ohne ein Wort von der magnetisch vom Westen angezogenen Mutter verlassen wurde. Zusammen mit seinen beiden Kindern tingelt der Vater Kálmán nun durch das sozialistische Land - schäbige Pensionen und graue Bahnhöfe ziehen vorbei, die Gleise singen sehnsuchtsvoll und in der Ferne hängt schon der "Geruch des Wassers". Am "See" kommt das Trio beim seltsamen Onkel Soltán unter, einem ehemaligen eleganten Fechter, dem aber jetzt "der Kopf eingefallen ist" und alle Erinnerungen entgleiten. Während Isti anfängt Sachen zu hören, die nicht zu hören sind - die Trauben an den Reben, die Federn in den Kissen, das Blut in den Adern - wird der Vater von der Magie des Wassers und des Schwimmens gepackt: "Es war, als nähme der See ihn auf, als könne er ein anderer werden, sobald er seine Kleider ablegte." Zsusza Bank, deren Eltern 1956 aus Ungarn geflohen sind, ist eine ungeheuer genaue Beobachterin und lädt die Landschaften, Menschen und Erinnerungen mit einer hochpoetischen Energie auf. Aus der Kinderperspektive von Kata lässt sie eine verlorene Zeit plastisch wieder auferstehen und beschwört die Stimmung in einem Land, in dem, wie sie im Gespräch erzählt, "das verlangsamte Leben sich wie unter einer Glasglocke abspielte - man wartete immer darauf, dass etwas passiert, aber es passierte nichts." An Ungarn selber hat Zsusza Bank nur ferne Erinnerungen von Urlaubsreisen zu Großeltern und Verwandten. Das detailreiche Interieur in ihrem Roman ist minutiös recherchiert und der authentische Eindruck resultiert, wie sie abschließend bemerkt, "aus einer Schöpfungskraft, die ein Schriftsteller ganz einfach mitbringen muss - denn sonst wäre er ja nur ein Tagebuchschreiber."
Karsten Herrmann, www.titel-magazin.de