London 1754: Die junge Sam findet sich auf der Flucht vor ihren Verwandten, die sie nicht nur ausgebeutet und um ihr Erbe gebracht haben, sondern sie nun auch noch zwangsverheiraten wollen, als Junge verkleidet in einer Kutsche nach Edinburgh wieder, wo sie sich einer recht illustren Runde gegenübersieht. Ein reicher Kaufman, ein Advokat, eine ältere Witwe, ein französischer Adeliger, ein Pastor und ein Landschaftsarchitekt sind gemeinsam mit ihr in der Kutsche unterwegs und genau wie sie selbst scheint so manchen Fahrgast ein Geheimnis zu umgeben. Vor allem Henry James, der Landschaftsarchitekt, den Sam aufgrund seines Auftretens innerlich nur als Mr. Rüpel tituliert, beschäftigt neben dem gutaussehenden und galanten Comte ihre Gedanken. Henry selbst ist auf dieser Reise sicher auf einiges gefasst, nur nicht darauf, dass er sich in der beengten Kutsche plötzlich einer jungen Frau mit strahlend grünen Augen gegenübersitzt, die sich aus ihm unbekannten Gründen als Junge ausgibt. Mit der Abfahrt in London beginnt eine abenteuerliche Reise, die nicht nur für Sam einiges an Aufregungen und Überraschungen mit sich bringt.
Ein kleiner Hinweis vorweg, bei dem Buch handelt es sich um eine überarbeitete Neuauflage des einstigen Titels Reise nach Edinburgh .
Den Leser erwartet hier eine kurzweilige Geschichte, die man alsbald nur noch schwerlich aus der Hand zu legen vermag, da bei dieser unglaublich abwechslungsreichen, spannenden, vergnüglichen, aber auch gefühlvollen Geschichte definitiv keine Langeweile aufkommt und man von Anfang bis Ende einfach mitgerissen wird. Der Handlungsverlauf selbst ist hier in die einzelnen Reisetage unterteilt und somit gut strukturiert, auch wenn die Kapitel selbst daher mitunter recht lang sind, was aber kaum ins Gewicht fällt, da die Handlung so begeistert und man die Kapitel sowieso regelrecht verschlingt.
Ohne viele Worte ist man dann auch gleich mitten im Geschehen und lernt die junge Sam kennen, die als Junge verkleidet voller Unruhe auf die Abfahrt der Kutsche wartet. Anfänglich hat das Ganze dabei fast schon einen märchenhaften Anklang als der Leser hier mehr über Sams Beweggründe für die Reise erfährt und sich dabei stark an Cinderella erinnert fühlt, weshalb der Leser sofort voller Sympathie für sie entbrennt.
Absolute Highlights sind bei dieser Geschichte natürlich die amüsanten und spannungsgeladenen Wortgefechte zwischen Sam und Henry, die vor allem auch deshalb so genial sind, da Henry natürlich längst weiß, dass Sam kein Junge ist und sich oftmals auf deren Kosten amüsiert, was diese natürlich nicht ahnt und mit ihrer Rolle als Junge für einige Lacher sorgt. Henry erobert hier mit seiner Art ebenfalls sehr schnell das Leserherz, da gleich zu Beginn klar wird, dass er wohl alles andere als ein simpler Rüpel ist und das Herz am rechten Fleck hat. Da das Ganze sowohl aus Henrys als auch Sams Sichtweise erzählt wird, kann man sich in beide sehr gut hineinversetzen und erlebt hautnah mit wie sich ihre Beziehung zueinander langsam verändert und entwickelt. Dabei sorgen ihre jeweiligen Hintergründe und Persönlichkeiten, aber auch die im Raum schwebenden Verdächtigungen, sowie die zahlreichen Verstrickungen und Vorfälle auf ihrer gemeinsamen Reise dafür, dass sich dies viel verfahrener (und auch unterhaltsamer) gestaltet als man zu Beginn auch nur im Ansatz hätte ahnen können.
Natürlich sind die Beiden in dieser Geschichte zwar die Hauptfiguren, aber auch die restlichen Charaktere, egal wie klein ihr Auftritt auch ist, stehen ihnen in nichts nach und sind hier quasi das Salz in der Suppe, da sie allerhand Überraschungen mit sich bringen und ebenfalls aufgrund ihrer Rolle die sie darstellen für tolle Unterhaltung beim Leser sorgen. Auf den ersten Blick wirken die Passagiere der Kutsche alle recht harmlos, wenn auch eigenwillig, doch je länger die Reise dauert, umso mehr tritt das wahre Gesicht aller zutage.
Neben den Figuren und der Handlung an sich, überzeugt hier aber auch das historische Setting, bei dem man sich als Leser direkt in die damalige Zeit hineinversetzt fühlt (inklusive der weniger angenehmen Seiten, wie zB einer beengten Kutschfahrt). Man schnappt überdies einiges an interessanten historischen Informationen auf, vor allem was den Konflikt zwischen England und Schottland betrifft, der hier eine wichtige Rolle spielt. Zugleich zeichnet sich das Ganze aber auch noch durch kleine liebevolle Details aus, wie etwa die Bedeutung der Namen einzelner Personen bzw. der Orte an denen unsere Reisenden Halt machen.
Ebenso gelungen ist, dass es neben all der Aufregung und Unterhaltung auch sehr gefühlvolle Passagen gibt. So ist Henry zwar durchaus jemand mit Ecken und Kanten, männlich, auf seine Weise gutaussehend, selbstbewusst, klug, ein Draufgänger und Lebemann, aber er zeigt auch eine sehr sensible und zärtliche Seite, die wunderschön zu lesen ist, ohne übertrieben zu wirken. Auch seine widerstreitenden Gefühle für Sam, die ihn oftmals mit ihrem Verhalten überrascht, und die sich aufbauende Spannung zwischen ihnen wird großartig eingefangen. Hier wird nichts überstürzt und einmal mehr zeigt sich, dass eine Geschichte auch ohne großartige Sexszenen auskommen kann und dennoch für Herzklopfen sorgt, wenn die Chemie und das Drumherum einfach stimmt. Sam wiederum begeistert mit ihrer teils kindlich, naiven Art und steckt den Leser mit ihrer Freude, Aufregung und dem Staunen an Dingen wie einem Jahrmarkt oder Maskenball direkt mit an. Genauso ist aber auch ihre Angst von etwaigen Häschern ihrer Tante entdeckt zu werden immer wieder spürbar. Dennoch zeigt sie ebenso viel Mut und Herz, sagt was sie denkt, ist alles andere als ein zimperliches, einfältiges und fügsames Frauenzimmer ihrer Zeit und lässt sich vor allem von Henry nicht so leicht einschüchtern. Sie wächst während dieser Reise und lernt einiges über sich selbst und andere dazu.
Fazit: Eine absolut gelungene Mischung aus Krimi, Abenteuer, Spannung, Romantik, historischen Setting, großartigen Charakteren und einer gehörigen Portion Unterhaltung. Teilweise ist die Handlung durchaus absehbar, aber sie hat auch einige wirklich gute Wendungen und Überraschungen zu bieten, die man so nicht erwartet hätte. Selbst zum Schluss hin als man bereits denkt, dass es das nun im Großen und Ganzen war, setzt die Autorin nochmal ordentlich eins drauf und der Leser bekommt einen gleichermaßen spannungsgeladenen, humorvollen und wunderschön gefühlvollen Abschluss, der Sams und Henrys Geschichte mehr als gerecht wird und einfach zu beiden passt. Zwar ist man einerseits traurig, dass es nun schon vorbei sein soll, aber die Geschichte wird so wundervoll und stimmig abgeschlossen, inklusive tollen Anmerkungen zu den historischen Tatsachen von der Autorin, dass der Leser einfach nur begeistert zurückbleibt. Ein Buch, das man am liebsten gleich nochmal lesen möchte und bei dem man geradezu ins Schwärmen geraten könnte, weil es einem so vergnügliche Stunden bereitet hat. Für mich ein echtes Lesehighlight, das ich nur jedem empfehlen kann!