"Neue Irre - wir behandeln die Falschen" bietet eine gute Übersicht über "wirkliche" psychische Erkrankungen, Entstehung, Diagnose und Therapie.
Das Kern-Anliegen des Buches scheint zu sein, mit volkstümlichen, laienhaften Fehldiagnosen aufzuräumen, die da beispielsweise lauten, Trump sein ein Psychopath. Auf diesen Punkt wird in der Einleitung kurz eingegangen, aber nicht mehr in der Zusammenfassung, wo das Thema noch mal aufgeriffen und abgerundet hätte werden müssen, schließlich ist es der große Aufmacher des Buches. Dass die vielen "Fehldiagnose" (unbeliebte, populistische) Politiker oder Promis diffamiert, wird nicht thematisiert. Stellenweise scheint es darum zu gehen, zu zeigen, dass die Normalen den "Außergewöhnlichen" das Leben schwer machen, sie in eine Schablone zwängen wollen.
Nun, ich tue mir allein mit der Bezeichnung "Außergewöhnliche" für psychisch Kranke schwer, weil es fast wie eine Auszeichnung, wie etwas Erstrebenswertes zu sein, sich die richtige Diagnose "schizophren" oder "paranoid" zu verdienen. Das kann aber natürlich nicht Ziel einer funktionierenden Gesellschaft sein, die ein Allgemeinmaß braucht, um funktionieren zu können.
Lütz tut viel, im psych. Kranke von dem Stigma "Verrückt" zu befreien, und das ist gut. Nach der Lektüre versteht man die Krankheitsbilder besser. Dennoch gibt viele Punkte, die man eingehend diskutieren könnte.
Noch eine Anmerkung: Der Autor schreibt, er würde ironisch schreiben. Das ist an sich schön - aber in einer der Ironie völlig entwöhnten Gesellschaft in einem aufklärenden Sachbuch damit zu kommen, ist sehr gewagt. Teilweise fand ich es unangebracht bzw. missverständlich.
Sprache und Stil sind sehr eingängig und leicht verständlich, auch für komplette Laien wie mich. Teilweise. Ist. Die. Syntax. Jedoch. Ein wenig. Zu einfach, denn statt Kommata werden vor Konjunktionen, die klassischerweise einen Nebensatz einleiten, ein Punkt gesetzt. So beginnen Sätze reihenweise mit "Und", "aber", "dennoch", was auf mich sehr nervend wirkt, so, als würde man beim Lesen ständig stolpern.