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Ein Trauma lässt sich nicht austricksen, es gelangt immer an die Oberfläche und die Folgen sind heftig.
-- Gelungen, aber der Autor muss eine Schippe drauflegen! --
Kein Blutspektakel, sondern große Psychobühne.
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Katja Sand, Ende 30, ist eine erfolgreiche Kriminalkommissarin, die zum Schutz ihrer geliebten 15jährigen Tochter Jenny auch Grenzen überschreitet, in Selbstzweifel über ihre Rolle als gute Mutter treibt und selbst in einer gestörten Beziehung zu ihrer eigenen Mama Monika lebt. Drei Generationen, eine kleine Familie, die durch Katjas verborgenes Trauma gänzlich auseinanderzubrechen droht - denn Katjas Bewusstsein führt Krieg mit ihrem Unterbewusstsein...
24/7 lang ist Katja in Gedanken bei ihren Fällen, sie versetzt sich in Opfer und Täter hinein, verschmilzt regelrecht mit ihnen. Warum Menschen andere Menschen töten, das will sie ausgraben. Ihrem Instinkt vertraut sie dabei mehr als den Indizien. Die Toten werden wieder lebendig, das Leid der Opfer bekommt hier ein Gesicht, auch ihre Dämonen und die der Zeugen, Ermittler und Täter. Die aktuell tiefe Beschäftigung mit den Traumata gebeutelten Ermordeten entwickeln sich zum emotionalen Trigger - Katjas eigenes Trauma erwacht.
Katja Sand, die alles mit sich alleine auszumachen sucht und in ständigem Bereitschaftsdienst keine Zeit für ihre Tochter findet, hat enorme Schwierigkeiten, trotz ihrer Liebe zu ihrem Kind, ein inniges Verhältnis zu Jenny zu errichten. Als langjährige Polizistin schafft sie es noch nicht einmal, so früh wie möglich ausgiebigst über Rauschmittel aufzuklären. Ein Rätsel bleibt Jenny für sie, genauso wie Katja ihr eines ist ( ¿ und für mich zudem, warum Katja keine Berührungen ihrer Mutter ertragen kann.) Warum das so ist, liegt an dem in Katja so vehement verschlossenen Trauma, dessen arkaner Kern zügig vom Lesepublikum erschlossen werden kann und im weiteren Verlauf immer wieder mal unterschwellig bestätigt wird. (Somit könnten auch Leser, die keine Anhänger von Reihen sind, mit einem gewissen Abschluss zufrieden das Buch verlassen - oder, sie wandeln sich erst recht dazu, zu Serienfans, um in voller Gänze Katjas Trauma-Auffaltung dann mit den beiden Folgebänden aufzuspüren, noch dazu mit DEM Cliffhanger und der Leseprobe zu Teil 2 auf den letzten Seiten.)
Der baumlange Rudi Dorfmüller, Anfang 30, ist eine Marke für sich; durch seinen trockenen Humor, seine ganz eigene Art nach anderen Ansätzen zu forschen und sein aufgeschlossenes Wesen vermag er die Düsternis dieses Thrillkrimis aufzulockern. Die eingestreuten Running Gag Szenen um den verehrten Ford Granada, Duftbäumchen und seinen Parka sind so schmunzelig, dass man sie sich nicht entgehen lassen sollte.
Verblüffend und erklärungslosbleibend, wie gut der Kollege die oft gereizte Katja kennt, obwohl er seit erst zwei Jahren mit ihr zusammenarbeitet, wie er die doch so Verschlossene so treffend zu lesen vermag, sein blindes Verständnis für ihr Seelenleben und welch Schlagabtausch durch seine schnelle Auffassungsgabe sich ergibt. Ihre schroffe Reserviertheit läßt er an sich abperlen, weiß er doch, was wirklich dahinter steckt, überhaupt nimmt er Dinge nie persönlich. Beeindruckend auch seine Loyalität und unbedingte Verlässlichkeit.
Darum ist es ein wenig enttäuschend, dass er beinahe eher zum Sidekick verkommt, weil ein intensiverer Blick in ihn verwehrt wird, obwohl doch der Autor, und das macht dieses Buch dahingehend besonders, allweil, selbst in Randfiguren, Seelenschauen vornimmt. Nichtsdestotrotz hat Herr Wortberg ein sympathisches, eingespieltes Ermittlerduo erschaffen, das durch sein freundschaftlich(-tratzend)es Teamwork besticht. Beide brennen für ihren Beruf, auf ihre gegensätzliche (Vorgehens)weise und ergänzen sich gerade dadurch. + + + Die Ereignisse um den Kriminalfall kommen nur langsam in Fahrt und scheinen nicht wirklich im Vordergrund zu stehen. Die andere Hälfte der Story bildet Katjas Vergangenheit (über das katastrophale Intermezzo dazu erfährt man nichts), ihre Probleme mit Tochter u. Mutter, über die sie mit keinem reden kann. Fast zu viel Privates, ein eher austarierteres Gleichgewicht zwischen beiden Welten (einfach mehr zum Fall und an Ermittlungsarbeit) wäre willkommener gewesen.
Was bei Katjas Privatleben u. Seelenleid nämlich ein wenig deprimieren kann, gerade weil es so viel Platz in Anspruch nimmt, oder es sich dadurch hinzieht, ist, dass der Schatten, der sie verfolgt, das was in ihrem Unterbewusstsein weggeschlossen ist, (ein Waterloo, welches sie vor 15 Jahren erlebt und ihr Leben kollossal verändert hatte), für aufmerksame Leser sehr wohl ersichtlich wird (wenn auch nicht in genauer Ausführlichkeit). Gleichzeitig aber der Katja auch im Laufe des Buches es einfach nicht gelingen mag, sich dazu ein wenig konturierter zu äußern, was schon verständlich ist durch die Trauma-Tragweite (das will der Autor ja zeigen), dennoch dieses Gräuel, bzw. der Zementkokon drumherum nur spärlich Haarrisse bekommt, durch die kurz gelinst werden könnte.
Katjas Entwicklung ist nicht wirklich da und sehr ausgebremst.
+ + + Erstaunlich, wie recht bald man sich über d i e Person X klar wird, die hinter den so merkwürdig und gewaltsam ums Leben gekommenen Tatopfern, die in der Nach- & Gegenüberstellung mit ihren aufgetriggerten Traumata sterben, stecken muss - wobei das genaue Motiv dahinter das eigentliche Rätsel ist, das es zu ergründen gilt, über das man länger grübelt und erst im Ausgang sich herausschält. Das ist allerdings gar nicht übel, mich hatte es jedenfalls erfreut, einmal X herausbekommen zu haben, ohne bis auf die allerletzte Seite warten zu müssen oder erst nach zig Twists aufgeklärt zu werden. Somit konnte sich dann auch voll auf das Motiv, und Schwerpunkt dieses Buches, konzentriert werden. ---
S.210: die innere und die äußere Welt von Traumapatienten [sind] oft völlig auseinangergedriftet (...). In der äußeren Welt funktionieren sie perfekt, ihre innere ist nur noch eine Trümmerlandschaft, in der Chaos, Krieg und Zerstörung herrschen. (Dr. Alexander Hanning) ---
Das Buch hat 46 Kapitel (auf ca. 350 Seiten), und ist in drei Teile gegliedert; jeder Part ist betitelt mit einem anderen Element (Wasser - Eis - Feuer) sowie mit einem Vorspann versehen. Die Geschichte in diesen vorangestellten Einschüben erzählt in ihrer kontinuierlichen Rückschau vom Martyrium, dem ein 3jähriges Kind mit seiner Mutter ausgesetzt war. Diese kurzen Passagen sind (zusammen mit dem Showdown) der Kategorie Thriller zuzuordnen und einfach nur fürchterlich und erschüttern. Man möchte wahrlich die Augen schließen, um nicht weiterlesen zu müssen. (Der Schrei nach der Mama am Schluss ging mir durch Mark und Bein). En gros läßt sich der Lesestoff aber wohl eher in die Kategorie Krimi/Roman/Psychologie verorten.
Die Charaktere so lebendig & authentisch von Christoph Wortberg angelegt, dass sich einem beim Lesen die Szenen wie beim Verfolgen einer Vorabendkrimisendung im TV regelrecht vor dem inneren Auge abspulen.
Beiseite, obwohl die Deutsche Marine für unseren Krimi nur eine untergeordnete Rolle spielt, hat der Autor in einem Nebenzweig ein kleines Denkmal zurückgelassen, denn Assoziationen zu Jenny Böken/dem Gorch Fock-Skandal sind unweigerlich da, und sie und ihr ungesühntes Leiden werden hiermit niemals in Vergessenheit geraten. Was auch dieser Fall (um Eva Frey) in Katja anrührt, ist wichtig zu verstehen.
Die Darlegung (durch Dr.Hofer) der psychischen Implikationen, die ein Lawinenverschütteter erlebt, und der Techniken, die ein Marinetaucher anwenden würde als ein solcher, sind sehr aufschlussreich.
Überhaupt die Auseinandersetzung mit der Frage: Gibt es Strategien und kann das Gehirn darauf programmiert werden, Traumata von sich fernzuhalten, zumindest auf der Bewusstseinsebene?
Das Finale nimmt beinahe zu schnell an Tempo auf und wird zu rasch zum Ende gebracht. Denn, es folgen so gar keine nachbetrachtenden Statements dazu von Person X (ob jeweils eine volle Mordabsicht vorlag).
+ + + F A Z I T: + + +
Von einem Trauma kann man sich nie befreien, aber es ist unumgänglich, es zu greifen, sich ihm zu stellen, damit man damit leben lernt.
Die Aufklärungsquote der Münchner Mordkommission liegt bei weit 90% - und doch gibt es Fälle, die heute noch auf ihre Antworten warten... der aus Christoph Wortbergs Feder, und im Marine-Milieu scheinbar angesetzte, wird durch Katja Sands Beharrlichkeit und enormen Einfühlungsvermögen gelöst. Hingegen verschanzt sich ihr eigener Albtraum vor ihr noch im Nebel.
WIE SCHWER es ist, an ein Trauma heranzukommen und wie wichtig, dass es gelingt, bildet Hypozentrum dieses Buches. Das Psychogramm der Person, die für die Morde verantwortlich zeichnet, baut der Autor dergewaltig erschreckend nah auf, dass es einem das Herz wie in einer Faust zerdrückt. Dieser Krimi mit Thrill zeugt von True Crime-Charakter, wobei dem Fall nur knapp die Hälfte gewidmet ist, Katja die andere dominiert. Eine gründlichere Spiegelbeleuchtung zwischen Katja & zur gesuchten mordenden Person - das wäre m.E. noch fesselnder gewesen.
Mit seinem Auftaktband einer Trilogie TRAUMA: Es gibt kein Entkommen versucht sich der Autor wirklich intensiv mit dem komplexen Themenfeld Trauma, einem noch immer weiterhin unterschätzten Krankheitsbild, auseinanderzusetzen, wobei er sogar die Historie mit-einbezieht.
Wem in diesem Zusammenhang Dissoziation und Reinszenierungen weniger ein Begriff sein sollte, wen die Frage umtreibt, inwiefern ein Trauma überhaupt bewältigt werden kann, wer sich mit Vor- u. Nachteilen von Resilienz und Schmerzunempfindlichkeit beschäftigen möchte, der erlebt mit diesem Band erste Aufklärung oder könnte zumindest ein sich annäherndes Verständnis dafür entwickeln.