Als Autorin und Journalistin Lena Gilhaus von ihrem Vater erfährt, dass er als Kind mit seiner kleinen Schwester auf Kur geschickt worden ist, erwacht ihr Interesse und sie beginnt zu recherchieren. Auf ihren Aufruf, Kinder, die in Kurheimen zur Erholung waren, mögen sich bei ihr melden, ereilte sie eine wahre Lawine an Rückmeldungen.
Was ursprünglich als gute Sache gedacht war, entwickelte sich recht bald zum Albtraum zahlreicher Kinder. Lena Gilhaus hat mit zahlreichen ehemaligen Verschickungskindern gesprochen. Das Ergebnis ist dieses Sachbuch, das unglaubliche Ereignisse zum Vorschein brachte.
Kinderverschickung ist bei den meisten Menschen mit den Evakuierungen von Kindern während des Zweiten Weltkriegs konnotiert. Doch dieses Buch zeigt, dass die Anfänge dieser Praxis, die bis in die 1980er-Jahre üblich war, ganz woanders liegen, nämlich in der Weimarer Republik.
Lena Gilhaus Recherchen habe ergeben, dass in den Jahren nach 1945 rund 15 Millionen Kinder aus der BRD und DDR zur Kur geschockt worden sind.
Gemeinsam mit ihrem Vater unternimmt sie die Reise in seine Vergangenheit als Verschickungskind. Behutsam, Schritt für Schritt, wie es für ihn angemessen ist, tasten sie sich in seinen Erinnerungen vor, besuchen die Orte des Schreckens und finden den einen oder anderen nur wenig verändert vor.
»Auch wenn der Besuch das Schlimme, Dunkle und Böse nicht wegmacht, bin ich froh, dass ich mit euch hier bin.« Rührungstränen blitzen in seinen Augen. »Für mich war dabei auch unsere Geschwisterlichkeit so schön, um die wir in der Kur betrogen wurden.«
In sechs großen Kapiteln die Autorin allen jenen Kindern eine Stimme, die in diesen Aufenthalten, die ihnen eigentlich Erholung und unbeschwerte Wochen bescheren sollten, missbraucht, verprügelt und gedemütigt worden sind.
Die eigentliche Sauerei ist, dass niemand, weder damals noch heute, die Verantwortung für diese Ereignisse übernehmen will.
Die Verschickungskinder bleiben auf Bundesebene seit Jahren ungehört. Erst Anfang 2023 erklärt sich das Bundesfamilienministerium plötzlich bereit, »mit den Ländern und Kommunen in einen Austausch über die Verantwortung für das erlittene Leid und Unrecht der Verschickungskinder« zu treten.
Fazit:
Das Buch ist keine leichte Kost. Kann es auch nicht sein, deckt es doch Machtmissbrauch an Kindern auf. Gerne gebe ich diesem wichtigen Buch 5 Sterne.