(C. N.: U. a. Rassismus, Sklaverei, Gewalt, Mord, Völkermord, Ausbeutung, usw.)
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"Wenn man sich an bestimmte Grausamkeiten gegenüber Menschen gewöhnt, dann ebnet es den Pfad zu noch mehr Brutalität." (David Simo, zitiert in "Deutschland, deine Kolonien")
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Ein Thema, welches zu meiner Schulzeit so gut wie gar nicht im Geschichtsunterricht zur Sprache kam (und wenn doch, dann bestimmt noch deutlich weniger kritisch), welches ich mir aber schon länger einmal genauer anschauen wollte, ist Deutschlands Rolle im Kolonialismus.
Durch wenige Dokus und Filme war mir schon manches bekannt, anderes noch nicht.
Dass Deutschland im Vergleich mit anderen Staaten später und weniger lange Kolonialmacht war (1884-1918/ 1919), könnte mit zum Mythos vom "harmlosen" Kolonialismus der Deutschen geführt haben.
"Deutschland, deine Kolonien" zeigt, dass auch Deutschland kolonialisierte, versklavte, verschleppte, ermordete und ausgebeutet hat - nicht weniger grausam als andere europäischen Mächte. Manche Stimmen meinen, dass das Land sogar besonders brutal und menschenunwürdig vorgegangen ist.
Beim Transport wurden viele Sklaven wie Tiere behandelt und starben. Andere wurden in deutsche Menschenzoos gesteckt und von Millionen von Menschen bestaunt.
An den Herero und Nama begingen die Deutschen Völkermord - sie wollten sie vernichten.
Das Buch beschreibt, dass der Kolonialismus jedoch viel weiter greift und sich nicht nur auf die Zeit beschränkt, als Deutschland Kolonien in Afrika, der Südsee und in China hatte.
Es beleuchtet die Hintergründe, zeigt auf, wie eng deutsche Kaufleute, Politiker und Unternehmen in das Geschäft mit Menschen verstrickt waren und erzählt vom aktuellen geschichtswissenschaftlichen Forschungsstand.
"Die koloniale Vergangenheit wirkt bis in die Gegenwart weiter. Wir müssen über strukturellen Rassismus reden und darüber, dass die Ausbeutung der Kolonien letztlich die Moderne und den Kapitalismus begründet hat. Und weil wir weiterhin in diesen Wirtschaftsstrukturen leben, setzt sich auch der strukturelle Rassismus bis heute fort."
Erstaunlich, dass es in Deutschland anscheinend erst 2017 die erste große Ausstellung zum deutschen Kolonialismus im Deutschen Historischen Museum gab. Und dass wir erst seit wenigen Jahren Debatten um Straßennamen und koloniale Denkmäler (z. B. von großen Sklavenhändlern) führen.
Und wie gehen wir eigentlich mit Raubkunst in unseren Museen um?
Wie, mit Schädel, Knochen und Mumien von Menschen aus den Kolonien?
"Geschähe das mit den Überresten deutscher Bürger, wäre es strafbar," das sollte uns doch zu denken geben
Ein Buch, welches tatsächlich sehr zum Nachdenken anregt.
In 27 Kapiteln, geschrieben von unterschiedlichsten Autor*innen, die vor allem die Perspektive der kolonisierten Länder einnehmen, greift es die unterschiedlichsten Themen rund um den deutschen Kolonialismus auf.
Ich fand es äußerst lesenswert und informativ, manche Zusammenhänge sind mir viel klarer geworden und obwohl es viele geschichtliche Fakten beinhaltet, blieb mein Interesse geweckt.
Der Fokus des Buches liegt dabei auf der Vergangenheit.
Eventuell hätte ich mir noch einen detailreicheren Blick auf die Gegenwart gewünscht und vielleicht noch mehr Einblicke von Zeitzeug*innen (was vermutlich schwierig ist, wenn diese bereits verstorben sind). Aber das ist meckern auf hohem Niveau.
Dafür finde ich die Zusammenfassungen über die verschiedenen deutschen Kolonien sowie die Chronik vom deutschen Kolonialismus am Ende des Buches, sehr hilfreich.
Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung! 4,5-5/5 Sterne!