Die Eigensinnige erzählt die Lebensgeschichte von Marie Ebner von Eschenbach, einer starken und ambitionierten Frau und Autorin, die im 19. Jahrhundert gegen gesellschaftliche Zwänge ankämpft. Die Autorin Lucca Müller, geboren 1968 in Köln, hat Germanistik, Philosophie, Italienisch sowie Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften in Köln, Paris und Rom studiert. Nach einigen Jahren als Journalistin arbeitet sie seit über zwei Jahrzehnten erfolgreich als Drehbuchautorin. Mit ihrem Roman verbindet Müller ihre tiefgehende Recherche und erzählerische Kunst zu einem Werk, das historisches Flair mit zeitlosen Themen vereint.
Worum geht's genau?
Im Jahr 1847 soll die junge Komtesse Marie Dubsky, Tochter einer wohlhabenden Adelsfamilie, in die Wiener Gesellschaft eingeführt werden. Doch anstatt sich mit Tanzstunden und höfischen Pflichten abzufinden, träumt Marie von einem Leben als Schriftstellerin. Sie widmet sich heimlich dem Schreiben ein Unterfangen, das in ihrer Familie nicht nur auf Ablehnung, sondern auch auf Sorge stößt. Besonders ihre progressive, beinahe rebellische Haltung und ihre spitze Feder machen Marie zu einer Außenseiterin. Einzig ihr Cousin Moriz, den Marie bereits als ihren zukünftigen Ehemann auserkoren hat, zeigt anfänglich Verständnis und Unterstützung. Doch Maries Drang, sich öffentlich Gehör zu verschaffen und gesellschaftliche Missstände anzuprangern, bringt nicht nur ihre Familie, sondern auch die Beziehung zu Moriz in Gefahr. Hin- und hergerissen zwischen ihrer Sehnsucht nach Liebe und ihrem unerschütterlichen Wunsch nach Freiheit und Selbstverwirklichung, kämpft Marie einen mutigen, aber oft schmerzhaften Kampf.
Meine Meinung
Die Eigensinnige hat mich durch seine tiefgründige Erzählung und die glaubhafte Darstellung der historischen Umstände, wobei die Begegnungen mit anderen Personen und genaue Handlung dann doch vielfach fiktiv ist, beeindruckt. Besonders Marie als Protagonistin bleibt einem lange im Gedächtnis ihre Stärke, aber auch ihre Verletzlichkeit machen sie zu einer faszinierenden Figur. Die Autorin hat es geschafft, Maries Lebensweg realistisch und trotzdem mitreißend zu schildern, sodass man sich leicht in ihre Kämpfe und Erfolge hineinfühlen kann. Ich hatte nämlich zu Beginn Angst, dass mir das Buch nicht liegen könnte, weil es an Spannung fehlt. Das hat sich zum Glück nicht bewahrheitet.
Was besonders hervorsticht, ist die thematische Vielfalt des Romans: von der Rolle der Frau im 19. Jahrhundert über die Bedeutung von Bildung und Kunst bis hin zu den alltäglichen gesellschaftlichen Tragödien dieser Zeit. Die Ungerechtigkeiten, die Frauen erlebten wie das Recht, über ihren eigenen Körper zu bestimmen, oder die Bedrohung durch Einrichtungen wie Sanatorien wurden eindringlich dargestellt. Gleichzeitig zeigt der Roman, wie Frauen trotz widriger Umstände ihren Weg fanden und sich gegenseitig unterstützten. Das Buch hat mir durchgehend Bridgerton-Vibes gegeben und Fans der Serie werden diesen Roman auch mögen.
Maries Begegnungen mit Persönlichkeiten wie Bertha von Suttner sind dabei besonders inspirierend. Ihre Diskussionen im Roman über die politische Funktion von Kunst regen zudem zum Nachdenken an und war mit einer meiner Lieblingsdialoge im ganzen Buch. Die Beziehung zwischen Marie und Moritz ist ein zentrales Element der Handlung und wird vielschichtig und nachvollziehbar geschildert. Die Konflikte, die sich aus Moritz' (teilweise) traditionellen Ansichten und Maries Emanzipationsstreben ergeben, zeigen, wie schwierig es für Paare damals war, ein Gleichgewicht zwischen Tradition und persönlicher Freiheit zu finden. Besonders bewegend fand ich Moritz spätere Erkenntnis und die Liebe, die er Marie trotz aller Konflikte bis zum Ende entgegenbringt.
Einziger Kritikpunkt ist, dass einige interessante Handlungsstränge wie Maries Gründung eines Frauenvereins nicht ausreichend vertieft wurden. Hier hätte ich mir mehr Fokus auf ihre feministischen Projekte gewünscht, da diese Aspekte viel Potenzial für die Handlung hatten.
Fazit
Die Eigensinnige ist ein beeindruckender und berührender Roman, der nicht nur eine spannende Geschichte erzählt, sondern auch ein wichtiges Licht auf die Kämpfe und Errungenschaften von Frauen im 19. Jahrhundert wirft. Die gelungene Mischung aus historischem Detailreichtum, fesselnder Handlung und einer starken Protagonistin macht das Buch zu einem besonderen Leseerlebnis. Kleine Kritikpunkte wie die unvollständige Ausarbeitung einiger Nebenhandlungen schmälern den Gesamteindruck kaum. Ich vergebe 4 von 5 Sternen und empfehle das Buch allen, die historische Romane mit feministischer Perspektive lieben.