Zum Inhalt:
Ein heißer Sommer in Norwegen. Als die Studentin Sonja beim Blumengießen einen Schatten im Nachbarhaus bemerkt, alarmiert sie die Polizei. Die junge Beamtin Lydia Winther, genannt Snø, nimmt den Hinweis auf doch zunächst scheint alles harmlos. Dennoch lässt sie der Vorfall nicht los. Als Sonja plötzlich spurlos verschwindet, wird aus dem Routineeinsatz ein gefährlicher Fall. Snø stößt bei ihren Ermittlungen auf eine Spur, die bis in die höchsten Kreise der norwegischen Ölindustrie reicht. Immer mehr Menschen, die in der Branche arbeiteten, gelten als vermisst oder tot. Snø ist überzeugt: Es gibt einen Zusammenhang. Doch je tiefer sie gräbt, desto mehr bringt sie sich selbst in Lebensgefahr.
Sprache und Erzählweise:
Unni Lindell setzt in ihrem Krimi auf eine temporeiche, dichte Erzählstruktur. Kurze Kapitel und ständige Perspektivwechsel sorgen für einen schnellen Lesefluss und halten die Spannung konstant hoch. Neben Snø kommen auch andere Figuren zu Wort die vermisste Studentin, Nachbarn, Kollegen und sogar die Täterseite. Dadurch erhält die Handlung zusätzliche Facetten und der Leser Einblicke in unterschiedliche Blickwinkel.
Stilistisch bleibt Lindell klar und präzise, ohne sich in Details zu verlieren. Besonders gelungen ist die Darstellung der jungen Ermittlerin: Snø wirkt authentisch, verletzlich und gleichzeitig entschlossen. Ihr Innenleben und die persönlichen Abgründe werden geschickt angedeutet, ohne dabei zu viel zu verraten. Gerade dieser Aspekt macht neugierig auf weitere Fälle mit ihr.
Stärken:
Lindell gelingt es, mit wenigen Sätzen Atmosphäre zu schaffen die norwegische Sommerhitze, das scheinbar friedliche Wohnviertel und die dunklen Schatten der Ölindustrie werden bildhaft eingefangen. Der Bezug zum norwegischen Ölgeschäft verleiht der Geschichte zudem eine besondere Brisanz und Aktualität.
Spannend ist vor allem, wie Snø als junge, noch unerfahrene Polizistin in ein Geflecht aus Macht, Geld und skrupellosen Interessen gerät. Ihre Hartnäckigkeit und ihr Mut, gegen Widerstände eigene Wege zu gehen, machen sie zu einer Figur mit Entwicklungspotential. Gerade ihre Fehler und impulsiven Entscheidungen wirken glaubwürdig und menschlich.
Schwächen:
Trotz der packenden Erzählweise bleiben einige Klischees des Genres nicht aus. Snø geht mehrfach leichtsinnig auf eigene Faust vor und bringt sich so unnötig in Gefahr ein altbekanntes Motiv in Kriminalromanen. Ebenso stolpern zwei Ermittler unabhängig voneinander über denselben Fehler, was auf Dauer etwas konstruiert wirkt.
Die Auflösung des Falls wirkt solide, aber wenig überraschend. Die Verbindungen zur Ölindustrie bieten zwar einen interessanten Ansatz, werden jedoch zum Ende hin zu schnell abgehandelt.
Persönlicher Eindruck:
Snø Ohne jeden Zeugen ist ein solider, atmosphärisch dichter Kriminalroman, der vor allem von seiner Protagonistin lebt. Snø ist eine Figur, an der man dranbleiben möchte unperfekt, eigensinnig, mit Ecken und Kanten. Ihr erster großer Fall weckt Neugier auf mehr und lässt hoffen, dass die Reihe fortgesetzt wird.
Die gesellschaftskritischen Töne rund um die norwegische Ölindustrie verleihen dem Roman zusätzliche Tiefe und Aktualität, auch wenn hier Potenzial verschenkt wurde. Wer skandinavische Krimis mit junger Ermittlerin, hohem Tempo und düsterer Atmosphäre mag, kommt auf seine Kosten.
Fazit:
Ein spannender Reihenauftakt mit einer interessanten Hauptfigur und gutem Tempo trotz kleiner Schwächen ein unterhaltsamer Krimi mit Potential.
Bewertung: 3,5 von 5 Sternen