1933. Nach monatelanger Funkstille erhält der litauische Übersetzer Žydrnas Miuleris, den der Dichter Thomas Mann beharrlich "Müller" nennt, einen Hilferuf aus der Schweiz. Der Nobelpreisträger fühlt sich in seinem Exil bedroht und bittet seinen "Watson" vergangener Tage um Unterstützung. Trotz sehr begrenzter Mittel eilt Žydrnas mit seinem Hund Ludwik nach Zürich. Dort angekommen, erzürnt ihn der banale Grund für Manns Sorgen: Die Folgen der rücksichtslosen Fahrweise seiner Frau Katia. Doch kaum beginnt Müller nach Frau Manns vermeintlichem Unfallopfer zu suchen, überstürzen sich die Ereignisse. Mit zwei Mordanschlägen auf seinen Hund Ludwik beginnt eine Serie bedrohlicher Ereignisse. Der Dichter und Hundefreund prophezeit: "Wer bereit ist, Hunde zu töten, würde wohl auch vor Menschen nicht haltmachen."
"Unheimliche Gesellschaft" ist nach "Gefährliche Betrachtungen" der zweite Fall des Emittlerduos Žydrnas Miuleris und Thomas Mann vom Deutsch-Schweizer Autor Tilo Eckardt. Die Bände können unabhängig voneinander gelesen werden. Das Einhalten der Reihenfolge erhöht aber den Lesegenuss.
Drei Jahre nach den verhängnisvollen Geschehnissen an der Kurischen Nehrung und ein Jahr nachdem Frau Bryls Villa Bernstein abgebrannt ist, befindet sich Thomas Mann, in dem von ihm prophezeiten und gefürchteten Exil. Die Gerüchte, dass die Gestapo Regimekritiker aus dem neutralen Ausland heim ins Reich entführen lässt, beunruhigen ihn sehr. Seine Frau sorgt sich um ihre Kinder, die ein geeignetes Druckmittel abgeben würden.
Thomas Manns Furcht vor Entführung ins Deutsche Reich war nicht unbegründet. Nur zwei Jahre später, am Abend des 9. März 1935, wird mit Berthold Jacob, einer der bekanntesten deutschen Journalisten und Pazifisten der Weimarer Republik, in Basel betäubt und über die Deutsch-Schweizer Grenze nach Berlin entführt.
Tilo Eckardt schreibt lebendig und bildhaft. Er passt seine Sprache dem Stil der 1930er Jahren an, was gut funktioniert. Auch das gemächliche Erzähltempo wirkt stimmig, könnte gelegentlich aber etwas flotter sein. Mühelos gelingt es dem Autor, die angespannte Atmosphäre im Mitteleuropa jener Zeit heraufzubeschwören.
Wie im ersten Fall stehen der Dichter und sein litauischer Übersetzer im Mittelpunkt der Geschichte. Žydrnas wirkt reifer, er agiert nicht mehr so unbesonnen wie vor drei Jahren. Inzwischen ist er mit Dalia verlobt und scheint seinen Platz im Leben gefunden zu haben. Thomas Mann wirkt angeschlagen, weil er seine geliebte Heimat zurücklassen musste, als die Demokratie dort endete. Es fällt ihm schwer, sich im Exil zurechtzufinden. Eine Schlüsselrolle kommt in diesem Fall Müllers Hund Ludwik, dem riesigen kaukasischen Owtscharka zu. In den Nebenrollen überzeugen vor allem die Eidgenossen. Meine Favoriten sind Grittli, Dorli und Trudi sowie der aufrechte Lokomotivführer.
Die Ereignisse aus der Rückschau des 101-jährigen Miuleris erzählen zu lassen, erweist sich erneut als kluger Schachzug. Längst ist Müllers fast kritiklose Verehrung Thomas Manns einer realistischeren, oft augenzwinkernden Sympathie gewichen. Mit Humor berichtet er für seinen Urenkel vom damaligen Geschehen, ohne den düsteren Hintergrund zu verschweigen. Der aufkommende Nationalsozialismus und seine weitreichenden Folgen schaffen eine angespannte Atmosphäre und erzielen auch in der Schweiz Wirkung.
Erneut vermischt Tilo Eckardt gekonnt Fakten und Fiktion Wir treffen Zeitgenossen des Dichters wie den Journalisten Konrad Heiden oder das Verlegerpaar Emmie und Emil Oprecht, das seinen Europa-Verlag gründete, um Exilautoren, eine Plattform zu bieten. Wir begleiten Mann & Müller in die "Pfeffermühle" um ein Kabarettprogramm von Erika Mann mit Therese Giehse zu genießen. Gerade vor dieser Szene erleben wir mit, wie auch in der Schweiz ein selbst ernannter Gauführer versucht, die politischen Verhältnisse zugunsten von Sympathisanten des NS-Regimes zu beeinflussen
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Am Ende des Buches klärt Tilo Eckardt, was bei diesem historischen Kriminalfall auf Fakten beruht und was Fiktion ist.
Auch Mann & Müllers zweiter Fall hat mich gut unterhalten. Ich vergebe 4,5 von 5 Sternen und eine Leseempfehlung an Fans von historischen Kriminalromanen und/oder Thomas Mann.