Halbinsel von Kristine Bilkau ist ein ruhiger, nachdenklicher Roman, der Fragen zu Familie, Verantwortung und Bewältigung von mentalen Krisen aufwirft. Zunächst habe ich gezögert, ob ich den Roman lesen möchte, da ich selbst in einer ähnlichen Situation war und befürchtete, dass mich die Geschichte emotional zu stark mitnehmen könnte. Gleichzeitig war es aber auch der Grund, warum ich es unbedingt lesen wollte, v.a., weil ich Bilkaus "Nebenan" so gern gelesen habe.
Der Roman spielt an der nordfriesischen Halbinsel im Wattenmeer und erzählt die Geschichte von Annett, Mitte 40, die nach dem frühen Tod ihres Mannes ihre Tochter Linn allein großgezogen hat. Linn, Anfang 20, kämpft mit Erschöpfung und Sinnsuche eine Thematik, die ich nur allzu gut nachvollziehen kann. Nach einem Zusammenbruch auf einer Konferenz möchte sie sich für kurze Zeit bei ihrer Mutter erholen, aus Tagen werden Wochen werden Monate. Die Handlung entfaltet sich behutsam, ohne große Dramen, sondern vielmehr durch die leisen Zwischentöne des Zwischenmenschlichen.
Spannend fand ich natürlich, die Geschichte aus Sicht der Mutter zu lesen, während ich selbst in einer ähnlichen Situation als Tochter war. Vieles kam mir bekannt vor, Gedanken, die ich selbst hatte, Vorwürfe, die mir von anderen gemacht wurden, Vorurteile, die in der Gesellschaft weit verbreitet sind, wenn es um mentale Gesundheit geht.
Überhaupt behandelt der kurze Roman eine Vielzahl von Themen: mentale Gesundheit, zwischenmenschliche Beziehungen, Trauerarbeit, Generationenkonflikte, die Klimakrise. Bilkau nähert sich all diesen Themen sprachlich unaufgeregt und gleichzeitig mit einer gewissen Sogwirkung.
Dennoch hatte ich manchmal das Gefühl, dass der Roman etwas kurz ist für die Vielzahl an Themen. Manche Aspekte hätten noch mehr Tiefe vertragen können, was aber vielleicht auch an meiner eigenen Distanz während des Lesens lag.
Trotz kleiner Kritikpunkte kann ich Halbinsel nur empfehlen und denke selbst auch Wochen nach der Lektüre noch darüber nach. Es ist ein leiser, ehrlicher Blick auf das Leben, das Weiterleben trotz aller Ungewissheit. Der Roman bleibt bei einem wie das Meer manchmal unberechenbar, manchmal still, aber immer da.