"Es ist so, das Leben besteht aus der Liebe und dem Tod. Den Banalitäten und dem Wahnsinn dazwischen. Damit lässt es sich zusammenfassen, hatte der Sonnenesser einmal gewohnt nüchtern zu mir gesagt. - Buchzitat S. 176 (E-Book)
Jaqueline Scheiber erzählt in ihrem ersten Roman Dreimeterdreißig eine bewegende Geschichte über Liebe, Verlust und die Spuren, die ein Mensch hinterlässt. Die 1993 geborene Autorin, bekannt unter dem Namen Minusgold, wuchs im Burgenland auf und lebt heute in Wien. Sie arbeitete viele Jahre im Bereich der Sozialen Arbeit und setzte sich nach persönlichen Verlusten intensiv mit dem Thema Trauer auseinander. In ihrem Roman verbindet sie ihre Erfahrungen mit einer poetischen Erzählweise, die existenzielle Fragen über Beziehungen, Heimat und Vergänglichkeit aufwirft.
Worum gehts genau?
Klara und Balázs leben zusammen in einer Wiener Altbauwohnung mit drei Meter dreißig hohen Wänden. Während sie sich zwischen knarrendem Parkett und großen Flügeltüren ein gemeinsames Leben aufbauen, geschieht eines Nachts das Unfassbare: Balázs liegt reglos im Bett und für Klara beginnt ein verzweifelter Wettlauf gegen die Zeit.
Die Geschichte spielt auf zwei Zeitebenen der Gegenwart und der Vergangenheit. Während in der Rückblende die Beziehung zwischen Klara und Balázs erzählt wird, erlebt die Leserschaft in der Gegenwart Klaras Auseinandersetzung mit dem plötzlichen Verlust. Dabei stellt sich die Frage: Was bleibt, wenn ein geliebter Mensch geht? Was bedeutet Liebe auch jenseits romantischer Beziehungen? Und wie hält man Erinnerungen fest, bevor sie verblassen?
Meine Meinung
Was mich von Anfang an fasziniert hat, sind die kreativen Kapitelüberschriften: Liest man sie hintereinander weg, ergeben sie einen zusammenhängenden Text. Erst am Ende des Buches wird klar, dass sie auf ein Gedicht von Lydia Daher zurückgehen. Die Kapitel selbst sind kurz und angenehm zu lesen, was den Einstieg in die Geschichte erleichtert.
Besonders gelungen finde ich den Aspekt, dass das Buch nicht nur von romantischer Liebe erzählt, sondern auch Freundschaften als zentrale Beziehungsform würdigt. Das Thema wird sensibel behandelt, und die Bedeutung platonischer Bindungen wird gut herausgearbeitet. Wer sich für diese Perspektive interessiert, könnte auch Bücher wie "Liebe" von Emilia Roig oder "Die Revolution der Verbundenheit" von Franziska Schutzbach spannend finden.
Die Erzählstruktur mit den wechselnden Zeitebenen Vergangenheit und Gegenwart hat mich anfangs allerdings etwas herausgefordert. Die Tick Tack-Kapitelüberschriften helfen zwar bei der Orientierung, doch es hat eine Weile gedauert, bis ich mich in den beiden Erzählebenen zurechtgefunden habe.
Ein interessanter Aspekt des Romans ist die Thematisierung von Ungarn und seiner Gesellschaft. Ich habe durch das Buch einige neue Einblicke über das Land und seine Kultur gewonnen, was für mich einen klaren Mehrwert darstellt. Gleichzeitig gibt es einige wienspezifische Ausdrücke, die mir als Österreicherin vertraut waren für Leser:innen ohne Wien-Bezug könnten sie jedoch etwas sperrig sein.
Stilistisch bewegt sich der Roman oft auf einer poetischen Ebene. Einige Sätze sind besonders schön formuliert, wie etwa: Sie würden nicht geahnt haben, dass in den Stunden zwischen zwei und vier Uhr morgens die Liebe Einkehr gehalten hatte. (S. 60, E-Book). Solche Passagen haben mich berührt, doch insgesamt fiel es mir schwer, eine Verbindung zur Hauptfigur Klara aufzubauen. Sie blieb für mich über weite Strecken zu unnahbar, sodass mich ihre Emotionen nicht voll erreicht haben. Erst im letzten Drittel konnte ich Klaras Schmerz wirklich nachfühlen und mich mehr auf die Geschichte einlassen.
Positiv hervorheben möchte ich außerdem, dass der Roman eine gendergerechte Sprache verwendet, was ich als zeitgemäß und inklusiv empfinde. Auch die Erinnerungen an den Málaga-Urlaub von Klara und Balázs haben mir gut gefallen sie haben mich an meine eigene Reise in die Stadt erinnert und boten eine schöne Abwechslung zur sonst melancholischen Grundstimmung.
Trotz einiger gelungener Momente bin ich beim Lesen immer wieder ins Stocken geraten. Die Kapitelüberschriften haben mich zunächst verwundert, und die unnahbaren Protagonist:innen erschwerten mir den Zugang zur Geschichte. Das Cover und der Klappentext weckten hohe Erwartungen, die für mich nur teilweise erfüllt wurden.
Fazit
Dreimeterdreißig ist ein Buch, das zum Nachdenken anregt, besonders über Liebe, Verlust und Erinnerungen. Die poetische Sprache und die tiefgründigen Themen sind berührend, doch die schwer greifbaren Figuren und die anspruchsvolle Erzählstruktur haben es mir nicht leicht gemacht, eine emotionale Verbindung aufzubauen. Wer sich auf eine ruhige, nachdenkliche Lektüre einlassen möchte, könnte hier fündig werden mich hat das Buch jedoch nicht vollständig überzeugt. Daher vergebe ich 3 von 5 Sternen.