Mit einer gewissen Schwermut starte ich in diesen ruhigen Kriminalroman und lerne Evander Mills in einer Bar kennen. Er ist ein ehemaliger Polizist und schließt gerade gedanklich mit seinem Leben ab. Bei einer Razzia wurde er auf der Herrentoilette bei unzüchtigem Verhalten erwischt und in der Konsequenz aus dem Polizeidienst entlassen. Doch das Schlimmste daran ist, dass nun alle Kollegen von seinem strenggehüteten Geheimnis wissen, was das Leben gefährlich macht. Denn in San Francisco des Jahres 1952 sind queere Menschen ständig willkürlicher Gewalt und Diffamierung ausgesetzt. Auch dürfen sie in vielen Jobs nicht arbeiten und müssen bisweilen um ihr Leben fürchten.
Andy, wie Evander auch gern genannt werden möchte, ist der Ich-Erzähler und schon auf den ersten Seiten spüre ich die Ungerechtigkeit. Denn Andy ist ein anständiger Mann, was er gleich zu Anfang beweist, als eine Frau in der Bar von ihrer Begleitung bedrängt wird und Andy einschreitet.
Kurz darauf wird die Begegnung mit Pearl Velez sein Leben eine neue Richtung geben. Denn sie bittet ihn, den Tod der Seifenfabrikantin Irene Lamontaine zu untersuchen. Dazu ist äußerste Diskretion geboten, denn im Lavender House hat Irene eine ganz eigene Familie gegründet.
Damit betrete ich kurz danach Lavender House, den zentralen Schauplatz. Es ist nicht nur eine geschützte Zuflucht für queere Menschen, sondern auch der Wohnsitz einer Wahlfamilie, in der jeder frei und unbefangen leben kann. Um das Haus und seine Bewohner vor Neugierigen zu schützen, liegt es gut abgeschottet außerhalb der Stadt.
Nach und nach lerne ich die Mitglieder dieser besonderen Familie und ihre Beziehungen zu- sowie untereinander kennen. Auch das Hauspersonal wird in den Fokus gerückt.
Damit legt Lev AC Rosen den Grundstein für einen tiefgründigen und sensiblen Kriminalroman, der sich mit der Frage beschäftigt, wer ein Interesse daran gehabt haben könnte, dass Irene Lamontaine stirbt. Oder war es doch nur ein Unfall?
In Lavender House vermittelt Lev AC Rosen authentisch die entstehende Atmosphäre, wenn aus einer versteckten eine offen gelebte Liebe werden kann, auch wenn dies in einem geheimen Leben passieren muss, um alle Mitglieder der Familie vor Repressionen in der realen Welt zu schützen. Denn der Schein nach außen ist alles, um schadlos in dieser homophoben Zeit leben zu können. Doch ist ein geschützter Ort mit der Möglichkeit, so zu sein wie jeder ist, nicht trotzdem ein goldener Käfig, weil alles nur an diesem Platz möglich sein kann?
Mit dieser Frage beschäftigt sich auch Andy, während er seine Ermittlungen zum Tod von Irene aufnimmt.
Andy ist gründlich bei seiner Arbeit und so legt er Stück für Stück die komplexen Charaktere dieser Familie frei und enthüllt diverse Konflikte sowie interessante Geheimnisse.
Der Schreibstil ist angenehm klar und hat den nüchternen Ton eines Kriminalbeamten. Die Handlung ist interessant angelegt und ich rätsle gern ein wenig mit. Immer wieder werden mir Hinweise dargeboten und mit jedem Stückchen Erkenntnis kommen Andy und ich der Wahrheit näher. Andy kann nur als Detektiv ermitteln, sodass seine Mittel beschränkt sind. Das macht seine Ermittlungsarbeit faszinierend, aber auch ruhig. Es gibt keine intensiven Spannungsspitzen und dennoch nimmt mich die bedrückende Atmosphäre über die Ungleichheit und den gesellschaftlichen Druck mit. Lev AC Rosen verzichtet auf Klischees und hält einen bewegenden Appell für Toleranz und Selbstakzeptanz.
Die Auflösung kommt fast ebenso leise daher und offenbart dennoch eine Tragik, die schmerzt. Gut gefällt mir, dass alles seinen Abschluss findet, gleichzeitig aber auch ein Neuanfang ermöglicht wird und der Grundstein für eine faszinierende Reihe gelegt ist.
Fazit:
Ein emotionaler Kriminalroman mit gesellschaftlichem Tiefgang, starken Charakteren und einem bewegenden historischen Setting.