Der Tote im Kamin von Denzil Meyrick ist ein atmosphärisch dichter, etwas skurriler Spannungsroman mit viel britischem Humor, der den gelungenen Auftakt zu einer historischen Krimi Reihe um den sympathischen Ermittler Inspector Frank Grasby bildet. Gekonnt entführt uns Meyrick in das verschneite Winteridyll von Elderby, einem abgeschiedenen Dorf in den North York Moors, mitten im Dezember 1952. Im Mittelpunkt steht Inspector Frank Grasby, der nach einem fatalen Missgeschick in das beschauliche Dörfchen Elderby strafversetzt wird, um dort eine Einbruchserie aufzuklären. Als dem Inspector bei seinen Befragungen zu einem Einbruchsversuch im adligen Herrensitz Holly House eine Leiche aus dem Kamin entgegenstürzt, muss Grasby schon am ersten Tag in einem komplexen Mordfall ermitteln. Doch schon bald erschüttert ein neues rätselhaftes Verbrechen den scheinbar friedlichen Alltag in Elderby. Mit einer weiteren unerwarteten Wendung verwandeln sich Grasbys Ermittlungen immer mehr in ein perfides Katz-und-Maus-Spiel, bei dem niemand mehr wirklich vertrauenswürdig erscheint. Angelegt ist die Geschichte aus Grasbys retrospektiver Perspektive als Memoiren eines Ermittlers, in die bisweilen Polizeiberichte, Zeugenaussagen und Tagebucheinträge als neutrale Perspektiven eingeschoben sind. Die klug konstruierte Handlung entfaltet sich zunächst in der verschneiten Winterkulisse der North York Moors und nimmt dann allmählich Fahrt auf. Die Spannung baut sich behutsam auf und wird von einem feinen Geflecht aus Verdächtigungen, Täuschungen, dunklen Dorfgeheimnissen und unheilvollen Verwicklungen getragen. Meyrick gelingt es mit seinen eindrucksvollen Schilderungen hervorragend, ein überzeugendes und teils melancholisches Lokalkolorit einzufangen. Dabei werden nicht nur die unterschiedlichen Schauplätze und die winterliche Atmosphäre der North York Moors lebendig und fesselnd dargestellt, sondern auch das Setting der ländlichen Nachkriegsprovinz wird authentisch und atmosphärisch dicht geschildert. Darüber hinaus versteht er es, ein stimmiges Zeitkolorit sowie ein facettenreiches Gesellschaftsporträt zu zeichnen. Durch detailreiche Beschreibungen wird die eigentümlich angespannte Stimmung der frühen 1950er Jahre greifbar, wobei gesellschaftliche Konventionen, Vorurteile, Klassenbewusstsein, Nahrungsmittelrationierungen und die Sehnsucht nach Stabilität in präzisen Alltagsbeobachtungen und pointierten Darstellungen anschaulich vermittelt werden. Beeindruckend ist zudem Meyricks Erzählstil, der den Zeitgeist der frühen 1950er Jahre gekonnt einfängt. Besonders facettenreich und lebensnah ist Meyricks Figurenzeichnung, insbesondere die des vielschichtigen Protagonisten Inspector Frank Grasby. Der etwas unbeholfene, liebenswert-exzentrische Ermittler besticht trotz einiger Schwächen durch britisches Understatement, beeindruckende Entschlossenheit und seinen Charme. Seine Interaktionen mit den eigenwilligen Dorfbewohnern und Zusammenarbeit mit dem narkoleptischen Sergeant Bleaking und der attraktiven Praktikantin Deedee, einer amerikanischen Kriminologie-Studentin, sorgt für so manches humorvolle Missverständnis. Daneben überzeugen auch die gut ausgearbeiteten, schillernden Nebenfiguren, die mit einer gehörigen Portion schrulligem Charme ausgestattet sind. Neben Grasbys kauziger Vermieterin Mrs. Gaunt und ihrem Raben sorgen auch seine Polizeikollegen sowie eine Vielzahl kurioser Dorfbewohner für humorvolle Momente und spritzige Situationskomik. Ein besonderes Highlight ist der ironische, schwarz-humorige Erzählstil, gepaart mit typisch britischem Understatement und witzigen Dialogen, die immer wieder für zahlreiche Momente zum Schmunzeln bieten. Was zunächst als klassischer britischer Whodunnit vor nostalgischer Kulisse mit charmantem Cosy-Crime-Flair beginnt, entwickelt sich zunehmend zu einem wendungsreichen Agententhriller im Spannungsfeld des Kalten Krieges. Die Handlung gewinnt an Komplexität und Tiefe, während sich hinter den idyllischen Fassaden politische Intrigen und gefährliche Verschwörungen von weitreichender Dimension verbergen. Der komplexe Kriminalfall rund um Inspector Frank Grasby lädt nicht nur zum Miträtseln ein, sondern hält dank zahlreicher raffinierter Wendungen den Spannungsbogen durchgängig hoch. Immer neue, verwirrende Enthüllungen führen uns geschickt an der Nase herum und halten uns bis zur letzten Seite in Atem, bis uns schließlich der Autor mit einer vollkommen unerwarteten, aber stimmigen Auflösung überrascht. Ein wirklich besonderes Leseerlebnis, das Lust auf weitere Fälle mit Inspector Grasby macht.
FAZIT
Ein fesselnder, historischer Spannungsroman, der ein faszinierendes Gesellschaftspanorama der frühen 1950er Jahre zeichnet - voller britischem Witz, faszinierenden Charakteren verblüffenden Twists und stimmigem Zeitgeist. Ein empfehlenswerter Lesegenuss für Freunde historischer Spannung!