Bettina Flitners Meine Mutter ist ein stiller, fast zärtlicher Blick auf das Leben ihrer Mutter und ihrer eigenen Herkunft. Es ist kein lautes Aufbegehren, sondern ein leises Eintauchen in Erinnerungen, Tagebücher und Briefe, die über Jahrzehnte hinweg gesammelt wurden. Die Autorin begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit ihrer Familie, nach Wölfelsgrund im heutigen Polen, wo ihre Vorfahren ein Sanatorium betrieben. Dieser Ort, der für sie immer nur ein Name war, wird durch ihre Erzählung lebendig.
Flitner gelingt es, die Geschichte ihrer Mutter und ihrer Familie mit einer Mischung aus Respekt und Neugier zu erzählen. Sie fragt nicht nur nach den Ereignissen, sondern auch nach den Gefühlen, die dahinterstehen. Warum gab es so viele Selbstmorde in ihrer Familie? Was hat das Leben ihrer Mutter geprägt? Diese Fragen zieht sie behutsam auf und lässt dabei Raum für eigene Gedanken und Interpretationen.
Der Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit ist geschickt eingeflochten. Manchmal fühlt es sich an, als würde man selbst durch die vergilbten Seiten der Tagebücher blättern oder durch die Straßen von Midzygórze spazieren. Die Autorin schafft es, eine Atmosphäre der Erinnerung und des Verstehens zu erzeugen, ohne je in Sentimentalität zu verfallen.
Was mir besonders gefallen hat, ist die leise Trauer, die zwischen den Zeilen mitschwingt. Es ist keine aufdringliche Melancholie, sondern ein sanftes Bedauern über das, was nicht gesagt wurde, über die ungestellten Fragen und die nicht gelebte Nähe. Diese stille Trauer hat mich berührt, ohne mich zu erdrücken.
Dieses ist kein Buch, das man schnell liest. Es lädt ein, innezuhalten, nachzudenken und vielleicht auch die eigene Familiengeschichte zu hinterfragen. Es ist ein Buch, das leise, aber nachhaltig wirkt. 4 Sterne und eine Leseempfehlung.