Unterschiedlicher kann die Ausgangssituation nicht sein. Die beiden Erzählungen von Heinrich von Kleist erscheinen wie von feiner wie grober Feder geschrieben. Während in der Marquise von O. das Geheimnis lange gewahrt wird, die unbekannte Schwangerschaft über die Marquise wie ein Mysterium hereinbricht, beschreitet Kleist im Erdbeben von Chili gleich das große Tableau von leidenschaftlicher Liebe, Naturkatastrophe und menschlicher Tragödie. Wo er in der Marquise von O. ein feines Gespür für die gehobene Gesellschaft, ihre Scham vor der Bloßstellung in überzeugenden Charakteren spiegelt, den Schandfleck der Vergewaltigung in den Mittelpunkt rückt, ein Tabuthema gleichermaßen zum literarischen Spiel erhebt, scheint im Erdbeben von Chili vor allem das Holzschnittartige, die Faszination für die Katastrophe die Oberhand zu behalten - sei es menschlicher Art, sei sie in der Natur zu suchen. In beiden Erzählungen kommt es zum Konflikt zwischen Eltern und Kindern, sei es die Ehre, sei es die falsche Wahl, die Eltern versuchen ihre Sicht der Welt, ihre Lebensweise rücksichtslos zu wahren. Die Marquise droht nur, verstoßen zu werden, Josephe und Jeronimo hingen bezahlen mit ihrem Leben dafür. Der weitere Weg des Heinrich von Kleist zeichnet sich hier schon ab.