Die referierenden Teile (ca. 95% des Inhalts) sind sehr gut und geben einen fundierten Ein- und Überblick zu Jaspers. Allerdings ist das Büchlein für philosophische Neulinge oder für die Erst-Begegnung mit Jaspers weniger geeignet, da es keinen entsprechenden didaktischen Anspruch verfolgt. Wer mit Jaspers schon bekannt ist, findet hier aber eine sehr gute Zusammenfassung seiner Philosophie.
Die kritischen Teile (die ca. 5% des Inhalts ausmachen), in denen Schüßler Jaspers Philosophie ein wenig zu hinterfragen sucht, halte ich hingegen nicht für gelungen. Sie scheinen mir ihr Ziel zu verfehlen, weil Schüßler Jaspers an entscheidenden Stellen offenbar missverstanden hat. Vielleicht ist aber auch der Wunsch handlungsleitend, eine Brücke zu schlagen zwischen Philosophie und Religion, zwischen Jaspers und Tillich.
Aus mehreren verschossenen Pfeilen Schüßlers greife ich den heraus, den ich als den bedeutsamsten Fehlschuss ansehe. Doch zuvor hole ich ein wenig aus, um an einem andern Thema beispielhaft zu machen, inwiefern ich Schüßlers Einwand für einen Pfeil gegen die falsche Zielscheibe halte.
Wenn ich mich der Musik nähern möchte, muss ich irgendwo beginnen - mit konkreter Musik, mit mehr oder weniger geplanten Schritten. Ich kann mich jemand anvertrauen, dessen Musik oder dessen Hörweise mir entgegenkommt, mich anspricht. Ich kann mich beispielsweise auf den Mikrokosmos von Béla Bartók einlassen, kann mich an die Hand genommen glauben von einem Lehrer mit feinem Gehör jenseits bis dahin allgemein etablierter Rhythmik und Harmonik. So betrete ich die Welt der Musik auf einem Weg, der nicht zu den ausgetretenen gehört, sondern eher zu den besonderen Pfaden.
Andere Musiker, andere Lehrer führen mich andere Wege, andere Pfade. Sollten sie miteinander ausdiskutieren, welcher der beste sei, und sich dann auf diesen einigen? Oder ist es nicht vielmehr meine eigene Aufgabe, den für mich gangbaren Weg selbst zu finden, vielleicht auch mehrere Wege probierend, gar mehr als einen Weg für längere Zeit beschreitend? Vielleicht erklimme ich gleichzeitig durch die Begegnung mit Beethovens Oeuvre einen anderen Gipfel, halte andere Umschau.
Mit der Philosophie verhält es sich ganz ähnlich. Jaspers schlägt einen Weg vor, lehrt einen Pfad, die Philosophie zu beschreiten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Da gibt es nichts zu diskutieren: man beschreitet den Weg, oder man lässt es; man wird von Jaspers angesprochen, oder die innere Resonanz bleibt aus.
Schüßler zielt also in die falsche Richtung, wenn er schreibt (S. 69):
Mit Jaspers Methode der Philosophie eröffnet sich folgendes grundsätzliche[s] Problem: Die Darlegungen werden dadurch unangreifbar, aber nicht, weil sie so gut begründet wären, sondern weil ein Angriff sie nicht mehr trifft. Denn die Inhalte sind nicht diskutierbar und so gegen jedes gegnerische Argument immunisiert. Das haben Kritiker Jaspers immer wieder zu Recht vorgeworfen.
--] weiter in Teil 2