Als im Herbst 1999 das seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen geglaubte Notenarchiv der Sing-Akademie Berlin in Kiew (Ukr) vollständig wieder aufgefunden wurde, war das für die Musikforschung eine Sensation. Seither können Musikwissenschaftler erstmals diesen weltweit einmaligen und inzwischen wieder nach Berlin zurückgeführten Schatz von Originalquellen - vor allem zur Musik des 18. Jahrhunderts - vollständig sichten und wissenschaftlich auswerten. Hierzu gehören auch die weitgehend vollständigen Aufführungsmaterialien der vokalen Kirchenmusik Carl Philipp Emanuel Bachs, des zweitältesten Sohnes Johann Sebastians. Carl Philipp Emanuel, der bislang vor allem als herausragender Komponist von Instrumentalmusik der Stilepoche des Sturm und Drang wahrgenommen wurde, war seine letzten 20 Lebensjahre als Nachfolger Georg Philipp Telemanns Kirchenmusikdirektor in Hamburg und als solcher zuständig für die Gottesdienstmusiken an den fünf Hauptkirchen. Dort bildeten die sogenannten Quartalsmusiken (zu Weihnachten, Ostern etc.) die musikalischen Höhepunkte des Kirchenjahres und den wichtigsten Bestandteil der liturgischen Musik. Mit den in der Singakademie überlieferten Quellen konnte sich die Musikwissenschaft nun erstmals ein Urteil über die Quartalsmusiken Bachs bilden. Bei diesen in Kantatenform gehaltenen Musiken handelt es sich oft nicht um Neukompositionen, sondern um Zusammenstellungen eigener oder fremder übernommener, parodierter oder bearbeiteter Sätze. Die Studie untersucht akribisch sämtliche Stimmensätze, Partituren und Particells und schließt daraus auf die genaue Form der Stücke und gewinnt aufführungspraktische Erkenntnisse. Es stellt sich heraus, dass die ehemals als "Flickwerk" diffamierten Kantaten bis ins Detail durchdacht sind und dass Bach in ihnen sein Ideal der zeitgenössischen Kirchenmusik repräsentiert sehen wollte. Denn nur das Beste aus der eigenen oder einer fremden Feder war für ihn gut genug, es in Hamburger Gottesdiensten erklingen zu lassen.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
I. Der Gegenstand. Werkbestand und Quellen
1. Ermittlung und Definition des Werkbestands
2. Die einzelnen Quellen
3. Beispiele
II. Ergänzungen zum Aufführungskalender
III. Fassungen
1. Hamburger Aufführungspraxis
2. Exempel und Sonderfall: Die Ostermusik von 1756
2. 1. Zur Entstehung und Uraufführung
2. 2. Die Fassungen von Wq 244 / H 803
2. 3. Die Sekundärquellen und ihre Bedeutung für die Rezeption und den Werkcharakter
2. 4. Der Werkcharakter und analytische Überlegungen
IV. Parodien und Übernahmen
1. Allgemeine Überlegungen
2. Übernahmen
2. 1. J. S. Bach, Benda, Homilius und andere
2. 2. Unveränderte Übernahmen aus eigenen Werken oder von eigenen Werken
2. 3. Die Choräle
3. Parodien
3. 1. Parodien aus dem Magnificat
3. 2. Parodien aus anderen eigenen Vokalwerken
3. 3. Parodien und Bearbeitungen von Fremdwerken
4. "Anpassungen"
4. 1. Das Instrumentarium
4. 2. Die Tonarten
4. 3. Die Texte
4. 4. Weitere Überlegungen zu den Libretti. Hamburger Freiheit und das Problem der Heterogenität
Anhang I: Die Texte der Quartalsmusiken
Anhang II: Incipits der Satzanfänge
Abkürzungen
Literatur und gedruckte Dokumente