In seinem neuen Roman über Menschen in Amerika erzählt der Schriftsteller T.C. Boyle von drei Hauptfiguren, Menschen, wie sie vielleicht nicht repräsentativ typisch sind für die USA der Gegenwart, die aber in ihrer charakterlichen und lebensgeschichtlichen Entwicklung etwas zeigen sollen von den Strukturen der Gesellschaft und das Leben an deren Rändern.
Da ist zunächst der hoch dekorierte Vietnamveteran Sten, ehemaliger Schuldirektor, der nach seiner Pensionierung während einer Kreuzfahrt in Costa Rica mit seiner Frau überfallen wird, und aus alter Übung einem der Räuber kurzerhand das Genick bricht und die anderen in die Flucht schlägt. Er muss sich dafür nicht verantworten und wird schon auf dem Schiff, erst recht aber Zuhause wie ein Held gefeiert.
In der Erziehung seines Sohnes Adam hat der Schuldirektor Sten schon lange die Segel gestrichen. Offensichtlich schwer gestört, wird Adam von Boyle als Antiheld beschrieben, wie er offenbar im Alltag eines waffenvernarrten Landes wie den USA immer wieder vorkommt.
Nach dem Ende der Schule hat Adam sein zuhause im Norden Kaliforniens verlassen und hat sich weit draußen, natürlich waffenbewehrt, einen Unterschlupf mitten in einem Mohnfeld gebaut. Aus dem Mohn gewinnt er Rauschgift, das er verkauft und damit seinen Unterhalt bestreitet. Überall sieht er Feinde, Aliens, gegen die er auch mit der Waffe in der Hand vorgeht.
Und da ist Sara, eine junge Frau, die ihren Lebensunterhalt als fahrende Hufschmiedin verdient und einer in den USA nicht wenig verbreiteten Ideologie anhängt, nachdem die Zentralregierung in Washington vom Teufel ist, und deren Institutionen gegenüber, wie etwa der Polizei, man keinerlei Verpflichtungen habe. Überall wittert sie Verschwörungen und sieht die Globalisierung am Werk. Sie habe mit Kalifornien keinen Vertrag, sagt sie etwa, als sie in eine Polizeikontrolle gerät und in Gewahrsam genommen wird.
Auf eine andere Art verbohrt und fanatisch, nur nicht zur Gewalt bereit, glaubt sie in Adam, den sie an einer Straße eines Tages aufliest, zunächst einen Gesinnungsgenossen zu erkennen. Um etliches älter als der psychisch gestörte Adam, verliebt sie sich in ihn, während der erst mal von ihren großen Brüsten fasziniert ist und immer nur mit ihr ficken will.
Absurde und realitätsferne Gedankenwelten treffen hier aufeinander und scheinen sich gegenseitig zu potenzieren. Irgendwann beginnt Sara zu erkennen, dass Adam es ernst meint, wenn er von der Vernichtung seiner Gegner spricht, doch sie kann sich nicht lösen von ihm.
Er lebt in einer fantasierten Welt als Waldläufer. Als Junge hat er ein Buch gehabt, in dem von einem Mann namens Colter erzählt wird, der vor 200 Jahren Waldläufer war und ein abenteuerliches und unabhängiges Leben geführt hat. Mit ihm und seiner Geschichte verschmilzt Adam regelrecht in seiner gestörten und wahnhaften Identität.
Man ahnt schon zu Beginn, dass die Geschichte Adams nicht wirklich gut ausgehen kann und dass auch Sara nicht herauskommen wird aus ihrer rechtsideologisch gestrickten Vorstellungswelt. Boyle gelingt es mit seiner Sprache, die sich in dieser beiden Außenseiter der Gesellschaft gut einfühlt, dass der Leser ganz nahe an deren Vorstellungs- und Gedankenwelt herankommt. Er beleuchtet sozusagen die dunkle Seite des amerikanischen Traums, jene, von der wir immer erst dann hören, wenn wieder einer wie wild um sich geschossen hat.
Dennoch bleibt das Buch bis auf die letzte seiner 400 Seiten unendlich spannend, liest sich wie ein Thriller. Ein Thriller, der erzählt von der Illusion der Freiheit außerhalb der Grenzen der Gesellschaft.