Während meiner Zeit am Gymnasium kam ich jeden Morgen auf dem Schulweg an einer Wand mit einem Graffiti vorbei: "Geburt - Schule - Arbeit - Tod" stand da. Damals beschäftigte mich diese Schmiererei mehr, als ich zugeben wollte.
Nun bin ich bei "Auerhaus" von Bov Bjerg auf einen jugendlichen Protagonisten gestoßen, den genau das gleiche bewegt; der nicht will, dass sein gesamtes Leben in den Ordnern "Birth", "School", "Work", Death" verschwindet, wie das von jedem beliebigen anderen auch. Was in diesem Jugendroman porträtiert wird, ist nichts anders als das pralle Leben in all seinen Facetten; und das in einer Intensität, wie man sie wohl nur als Heranwachsender empfindet.
Worum geht es?
Der 18jährige Höppner hat vier Ordner mit den Aufschriften "Birth", "School", "Work", "Death" und möchte es um jeden Preis verhindern, dass sein gesamtes Leben restlos in diesen Kategorien verschwindet. Er will mehr; und vor allem will er anders werden als die eigenen Eltern. Auch den neuen Freund seiner Mutter kann er nicht leiden. Da trifft es sich gut, dass Frieder, der erst vor kurzem versuchte, sich das Leben zu nehmen, ihm anbietet, mit ihm in das alte Bauernhaus seines verstorbenen Großvaters zu ziehen. Zusammen mit 4 weiteren Freunden stürzen sich die beiden in das größte Abenteuer ihres Lebens: das Erwachsenwerden mit allem, was dazu gehört: Freundschaft, Liebe, Treue, (Homo-)Sexualität, Drogen, Bundeswehr, Polizei, Dass man die 80er Jahre schreibt und sich irgendwo auf dem platten Land befindet, macht das Unternehmen nicht gerade einfacher. Und dann wäre da ja auch noch die ständige Angst um Frieder und davor, dass er sich wieder etwas antun könnte.
Wie war mein erster Eindruck?
Fast eine ganze Audio-CD (von insgesamt vier Stück) hatte es gedauert, bis ich mich an den Erzählstil von Bov Bjerg gewöhnt hatte. Der szenenhafte Aufbau, der das gesamte Geschehen nur knapp, kurzen Blitzlichtern ähnlich, widergibt, ließ mich zunächst nicht richtig in die Geschichte finden.
Außerdem lässt Bov Bjerg seinem Ich-Erzähler Höppner in "Auerhaus" viel Zeit, um sich selbst vorzustellen und die Stimmung jener so verwirrenden Jahre des Heranwachens einzufangen. Hierdurch wurde meine Geduld zunächst etwas auf die Probe gestellt, weil mir lange nicht klar, worauf die Geschichte eigentlich hinaus will.
Im Nachhinein erkenne ich dahinter jedoch die Absicht und deren Notwendigkeit, den erwachsenen Leser "abzuholen" und in die eigene Teenagerzeit zurückzuversetzen.
Wie fand ich die Sprache?
Bov Bjergs Sprache in "Auerhaus" ist sehr authentisch. Seine Wortwahl passt gut zu dem Jugendlichen, der hier als Erzähler auftritt. Sie ist klar, direkt und ungekünstelt. Es ist keine wohlklingende, ausgefeilte Schriftsprache. Stattdessen arbeitet Bov Bjerg mit kurzen Sätzen und häufigeren Wiederholungen von Worten und Phrasen.
Bisweilen schweift Höppner in seiner Erzählung etwas ab und verliert sich in Details, die nur ihm wichtig sind. Im nächsten Moment ruft sich jedoch selbst wieder zur Ordnung. Hierdurch entsteht der Eindruck, als erzähle jemand tatsächlich gerade so, wie es ihm in ebendiesem Moment einfällt.
Das Hörbuchformat passt hierzu perfekt und verstärkt diesen Effekt.
Wie fand ich die Charaktere?
Die Bewohner des "Auerhaus", wie die Schüler-WG wegen ihres Lieblingssongs "Our House" im Dorf schnell heißt, wurden mir während des Hörens schnell zu guten Freunden. Zwar lässt der szenenhaften Aufbau des Hörbuchs keine ausführliche Einführung der Charaktere zu. Dadurch dass, man die Freunde jedoch nur in außergewöhnlichen Szenen erlebt, wo sie dann sehr charakteristisch reagieren, bekommt man schnell einen Eindruck von ihnen. Auch hilft es, dass wahrscheinlich jeder von uns ähnliche Klassenkameraden hatte: sensible Philosophen, kleine Rebellen, Partylöwen, Kiffer, So schließt man die "Lücken" schnell mit den Erinnerungen an die eigenen Schulfreunde und plötzlich selbst wieder 18 Jahre alt und mittendrin.
Wie fand ich den Schluss?
Der Schluss hat mich tief bewegt. Obwohl er sehr traurig ist, gefiel er mir gut, denn für mich ergab "Auerhaus" so einen in sich stimmigen Eindruck. Ein Happy Ende hätte einfach nicht zu diesem Hörbuch gepasst und wäre mir zu viel Hollywood gewesen.
Das Ende, das Bov Bjerg vorsieht, war für mich glaubhaft und lebensnah. (Die Bilder zu meinen eigenen Erfahrungen dieser Art traten mir sofort wieder vor Augen. Das war nicht leicht, aber doch hilfreich.)
Auch lange nachdem der letzte Satz gesprochen war, war ich mit dem Gehörten beschäftigt. Erst eine knappe Woche später hatte ich den Inhalt soweit verarbeitet, dass ich mich an die Rezension setzen konnte.
Wie fand ich den Sprecher?
"Auerhaus" war mein erstes Hörbuch, das von Robert Stadlober eingelesen wurde. Ich hatte zunächst Angst, dass ich beim Hören immer ihn vor meinem geistigen Auge haben würde und mir so kein gutes Bild von Höppner würde machen können. (Bei der sehr charakteristischen Stimme von Katharine Thalbach, die ich als Schauspielerin sehr schätze, oder bei Christoph Maria Herbst geht mir das so.)
Robert Stadlober nimmt sich beim Lesen von "Auerhaus" jedoch sehr zurück. Er drängt sich nie selbst in den Vordergrund und verleiht Höppner dadurch eine authentische Stimme.
Die Wahl des Sprechers ist auch deshalb sehr gut gelungen, weil man Robert Stadlobers jugendliche Stimme den 18jährigen tatsächlich abnimmt.
Wie fand ich das Hörbuch insgesamt?
Von der Thematik über die Sprache und die Stimmung bis hin zum Sprecher - beim Hörbuch von "Auerhaus" passt einfach alles zusammen. Was Bov Bjerg in diesem Jugendroman porträtiert, ist nichts anders als das pralle Leben in all seinen Facetten; und das in einer Intensität, wie man sie wohl nur als Heranwachsender empfindet. Dabei gelingt ihm das Kunststück, auch erwachsene Zuhörer wieder mit zurück zu nehmen in die eigene Schulzeit.
Trotz einer ernsten Thematik des Suizids und einer eher schwermütigen Grundstimmung, gerät das Hörbuch durch gekonnt akzentuierte humorvolle Passagen und einige witzige Slabstick-Momente wohltemperiert. Diese Balance aus Melancholie und Humor nimmt dem Thema etwas die Schwere und macht den besonderen Reiz dieses Hörbuchs aus. Weder ist es allzu trivial der albern noch wird man sich zu sehr in den Trübsinn gezogen.
Dank des bewegenden, authentischen Schlusses kommt die Botschaft von "Auerhaus" dennoch an.
Die jugendliche, klare Sprache und ein treffend gewählter Sprecher machen das Hörbuch zu einer runden Sache, bei der man schnell den Eindruck bekommt, den Erzähler Höppner tatsächlich zu kennen.
Es macht Spaß dieses Hörbuch zu hören und auch nach dem letzten Satz klingt es noch lange nach.