"Jahre aus Seide" von Ulrike Renk ist der Auftaktroman einer dreiteiligen Familiensaga. Der Roman erzählt die Geschichte der jüdischen Familie Meyer aus Krefeld, wobei insbesondere deren älteste Tochter Ruth im Mittelpunkt der Geschichte steht. Die Geschichte beruht zum Großteil auf wahren Begebenheiten, wobei die Autorin Zeitdokumente wie das Tagebuch der "echten" Ruth Meyer als Grundlage für den Roman benutzte.
Der Auftaktroman beginnt im Jahre 1926 und handelt von Ruths Kindheit und Jugend. Diese stellt sich als sehr harmonisch dar. Der Vater Karl Meyer arbeitet als Schuhhändler und verdient damit gutes Geld, so dass er seiner Familie ein sorgloses Leben ermöglichen kann. Die Familie kann sich ein schönes Haus in einer guten Wohnlage leisten und beschäftigt mehrere nicht-jüdische Angestellte, zu denen die Familienmitglieder ein fast freundschaftliches Verhältnis haben. Insbesondere zu dem Chauffeur Hans Aretz und dessen Familie haben die Meyers ein sehr enges Verhältnis und fahren mit diesen auch mehrfach in den Urlaub. Die Mutter Martha Meyer geht, wie es damals wohl bei vielen Familien üblich war, nicht arbeiten. Die Familie hängt zwar dem jüdischen Glauben an, hält sich jedoch nicht so streng an die damit verbundenen Rituale. Insbesondere Karl ist diesbezüglich sehr locker eingestellt und sieht sich in erster Linie als Deutscher.
In dem Buch sind die damaligen Ereignisse, der zunehmende Antisemitismus bis hin zur Machtergreifung Hitlers aus der Sicht der Juden geschildert. Auch werden das Bestreben vieler Juden, ins Ausland zu emigrieren und die damit verbundenen Probleme thematisiert. Ansonsten schildert der Roman ein relativ normales Familienleben. Reibungspunkte gibt es eigentlich nur zwischen Martha und ihrer Mutter Emilie, die immer wieder Gründe findet, an Marthas Leben etwas zu kritisieren und ihr damit oft das Leben schwer macht.
Der Roman endet schließlich mit der Reichspogromnacht 1938. Das Ende stellt gleichzeitig einen Cliffhanger dar, der den Leser dazu animieren soll, auch die weiteren Romane zu lesen.
Ich fand den Klappentext des Buches sehr ansprechend, wurde durch den Roman aber leider enttäuscht. Vom letzten Kapitel abgesehen, ist der Roman oft sehr langatmig. Wirklich spannende Szenen gibt es erst am Ende. Der Erzählstil ist flüssig, jedoch werden relativ belanglose Dinge seitenlang ausgewalzt und interessantere Ereignisse nur oberflächlich abgehandelt. So wird z. B. seitenlang darüber geschrieben, wie fasziniert Ruth vom Weihnachtsbaum ihrer Freundin ist und dass sie auch gerne einen hätte. Das Thema zieht sich ellenlang hin. Ich finde ja OK und sinnvoll, dass es thematisiert wird, um deutlich zu machen, wie hin- und hergerissen einige jüdische Familien zwischen ihren Traditionen und den christlichen und typisch "deutschen" Traditionen waren. Aber das hätte man auch kürzer abhandeln können. Dagegen wird z. B. Ruths erste Liebe, Kurt, recht beiläufig abgehandelt. Wirklich tiefere Einblicke in die Gefühlswelt von Ruth oder den anderen Familienmitgliedern bekommt man nicht. Dadurch konnte ich auch bisher keinen richtigen Zugang zu den Charakteren finden. So richtig viel Lust auf mehr hat mir der Roman nicht gemacht. Ich habe jedoch nach dem letzten Kapitel die leise Hoffnung, dass die weiteren Romane etwas spannender werden und mehr Tiefgang haben werden.