Anita Brookner - Hotel du Lac
Die Zeit enthüllt die Wahrheit
Stellen Sie sich ein leicht angestaubtes kleines Hotel am Genfer See vor. Saisonende. Einige wenige Gäste sind noch da. Doch Abreise und Abschied, Einsamkeit und Vergänglichkeit, Kühle und Stille sind fast schon greifbar.
Dies ist das Setting von Anita Brookners Roman Hotel du Lac , hierher wurde ihre Protagonistin, die Schriftstellerin Edith Hope, nach einem Skandal verbannt. Im fernen London soll derweil in Ruhe Gras über die Sache wachsen. Edith Hope fügt sich schweren Herzens, sie sehnt sich nach dem Geliebten David. Diese Liaison mag romantisch scheinen, ist jedoch aussichtslos und hat nichts mit den HappyEnds in Ediths trivialen Liebesromanen zu tun, denn David ist sehr verheiratet. Bis ins kleinste Gefühldetail treffend beschreibt die Autorin das Bemühen dieser nicht mehr ganz jungen, ungebundenen und letztlich einsamen Frau, um die Liebe und das Gefallen eines distanzierten Mannes. Hope, der Name bedeutet Hoffnung ¿
Der Mikrokosmos Hotel, mit Bergen und See als Dekoration, ist eine von A. Brookner gekonnt in Szene gesetzte Bühne - die Gäste geben sich selbst und dem restlichen Publikum ihre (Lebens)Vorstellung und Edith betrachtet die anderen Gäste mit der analytischen Genauigkeit der von Beobachtungen lebenden Schriftstellerin - doch verfügt sie wirklich über gute Menschenkenntnis? Und wie gut kennt sie sich selbst?
Was als Übung für heitere Unterhaltung begonnen worden war ¿. hatte irgendwie zu Ansätzen von Selbstbeobachtung, Kritik, ja Bitterkeit geführt.
In Briefen an den Geliebten wird die Entwicklung der Protagonistin gezeigt: Melancholisch-zögerlich und in Nostalgie verharrend erscheint sie zunächst, und ist dann doch fähig, optimistisch-entschlossen in eine Zukunft zu gehen.
Aufgrund der exzellenten Zeichnung der Romanfiguren, ihrer Umgebung, ihrer Stimmungen, zieht mich die Autorin fest in ihren Bann, ich möchte lesenlesenlesen. Wie in einem Film agieren die Personen, läuft die Handlung vor meinen Augen weiter¿. wohin geht es, wie wird der Schluss?
Anita Brookner, die erst verhältnismäßig spät in ihrem Leben zu schreiben begann, hat insgesamt 24 Romane veröffentlicht. Für Hotel du Lac erhielt sie 1984 den Booker-Preis. Es gilt diese Autorin neu zu entdecken - der engagierte Eisele-Verlag bringt jetzt, nach Ein Start ins Leben (ebenso empfehlenswert), den hier vorliegenden Roman heraus. Es bleibt zu hoffen, dass noch viele weitere folgen werden.