Den Umschlag des schwergewichtigen Buches ziert eins der bekanntesten Plakate überhaupt: Den "Ambassadeur" von H. de Toulouse-Lautrec, eingebunden in eine Collage, die das Wesentliche von Plakaten veranschaulicht: Die zeitlich beschränkte Wirkung. Plakate werben,- für Produkte, Events, Meinungen, Veranstaltungen und vieles mehr. Ist die Aktualität vorbei, werden sie überklebt, so wie sie ihrerseits andere überklebt haben und sind unwiederbringlich verloren. Es sei denn, phantasievolle Künstler wie Rudolf Kügler nutzen die Reste und Fragmente um daraus farbfrohe Collagen zu gestalten. Ein anderer Berliner Künstler, Fritz Köthe, decollagiert seine Plakatvorlagen und schafft dadurch frappierende neue Einblicke in vorgegebene Motive. So wird klar, wie sehr Plakate zu unserem täglichen Leben gehören. Dem Museum Folkwang, Essen, und dem Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, gebührt großes Lob für die Bewahrung und Sammlung dieser vergänglichen Kunstwerke.
Tulga Beyerle, Direktorin des Hamburger Museums, und Jürgen Döring, Kunsthistoriker von der Universität Hamburg, haben 480 Beispiele von 200 Künstlern aus der Sammlung ausgewählt und eingehend beschrieben. Sie nehmen uns mit zu den Anfängen dieser Kunst bis in die jüngste Gegenwart.
So wie die Entwicklung des Buchdrucks durch Gutenberg zur rasanten Verbreitung der Schriften Luthers führte, haben die Erfindung der Lithographie durch Senefelder und die der Photographie durch Daguerre den Erfolg der Plakatkunst erst ermöglicht.
Wenn man den sorgsam gestalteten Katalog durchblättert, gewinnt man den Eindruck, dass die führenden Künstler des Fin de Siecle, des Jugendstils, geradezu auf diese neuen Techniken gewartet haben. Neben Toulouse tun sich Jules Cheret, Alfons Mucha und weitere Zeitgenossen hervor. In allen Epochen finden die die Namen berühmtester Künstler, die für sich oder für gestellte Aufgaben Entwürfe beigetragen haben. Wir erkennen auch, dass sich Stilrichtungen in verschiedene Länder, gar Nationen entwickeln. Es gibt völlig andere Auffassungen z.B. in Japan, Russland, China sowie in der Schweiz (Leupin (!)), in Tschechien und Polen.
Themen, Motive und Stile sind so vielfältig, dass zwangsweise in dieser Aufstellung einige weiße Flecken sichtbar werden. So vermisst der Plakatliebhaber die Serie mit Originalgrafiken zu den Olympischen Spielen 1972 in München und 1984 in Los Angeles, sowie zu der Fußball-WM 1982 in Spanien. Vermisst werden auch die Originale, die 1982 zum Thema Apartheid von 15 Künstlern, darunter Lichtenstein, Tapies, Vostell, für die Vereinten Nationen geschaffen wurden. Einen ganz wesentlichen Beitrag zu dieser Kunst stellen auch die Ausstellungsplakate der Galerie Maeght, Paris, dar. Exzeptionell sind die fünfzehn tachistischen Entwürfe für die Air France von Georges Mathieu.
Dennoch: Ein großartiges Buch, dem der Kunstfreund viele neue Erkenntnisse und Einsichten verdanken kann. Glückwunsch!
Karlheinz Schmiedel