Gelesen habe ich Cornelia Funkes Neuausgabe "Reckless: Steinernes Fleisch" parallel zu der unbearbeiteten Ausgabe von 2010. Dabei markierte ich Unterschiede, ergänzte Sätze und bilde mir meine eigene Meinung von den Neuerungen.
Zu den zwei Ausgaben: Manche Absätze wurden komplett gestrichen, andere hinzugefügt oder verschoben. Kleine inhaltliche Unterschiede, bei denen sich die zwei Ausgaben direkt widersprechen, gibt es nur wenige und sie ändern auch nicht den Verlauf der Geschichte. Allgemein gibt es manche Kapitel, die sich weiterhin sehr ähneln, und andere, bei denen die Unterschiede offensichtlich sind. Viele der Überarbeitungen ergaben schlichtweg mehr Sinn bzw. klangen schöner. Auch ein paar Kapitelüberschriften wurden überarbeitet. Durch die Änderungen glaubt man, einen winzigen Einblick auf die Entwicklung Cornelia Funkes über die letzten 10 Jahre zu erhaschen und es zeigt, dass ein Buch theoretisch nie vollendet ist.
Optisch überzeugt die Neuausgabe mit einem bezaubernden Cover und Illustrationen der Autorin zu Beginn jeden Kapitels, die jedoch nicht mit denen der alten Hardcover-Ausgabe mithalten können, da diese die gesamte Anfangsseite jeden Kapitels umrahmen, anstatt nur ein Rechteck in der oberen Hälfte einzunehmen.
Die Spiegelwelt vereint verschiedenste Grimmsche Märchenelemente und regt dadurch Faszination, aber auch Bedenken hervor. Denn verglichen mit den Erzählungen aus Kindheitstagen zeigt sich die Märchenwelt hier in einem weitaus schummerigeren Licht, in dem Intrigen, Mord, Flüche (im Sinne von verfluchen), Krieg und Tod keine Seltenheit sind. Die Komplexität (z.B. von Machtstrukturen) verleiht der Welt etwas sehr realistisches und zeigt, wie gründlich sich die Autorin damit beschäftigt hat. Übersichtlich werden diese Strukturen durch den Einsatz verschiedener Perspektiven.
Auch die verschiedenen Charaktere (gut wie böse, auch wenn sich das interessanter Weise nicht immer genau sagen lässt) bringen eine Vielschichtigkeit mit sich, die ihnen Leben einhaucht; ich habe mit ihnen getrauert, Wut gespürt, die Freundschaft und Liebe; als sei ich mit von der Partie und begleite sie bei ihren Abenteuern.
Dabei spielt natürlich der unverwechselbare Funke-Schreibstil eine besondere Rolle. In diesem Punkt merkt man den Unterschied zwischen den zwei Ausgaben am stärksten. Der Stil der neuen Ausgabe ist noch ausgeschmückter und bildlicher formuliert. Ich fühlte mich dem Geschehen sehr verbunden, wodurch ich beim Vergleichen manchmal ungeduldig wurde, anstatt einfach weiter zu lesen, besonders bei spannenden Stellen (wovon das Buch nur so wimmelt!). Als Vergleich: für die unbearbeitete Ausgabe von 2010 hätte ich etwa 4,5 Sterne vergeben, da ich den Schreibstil der neuen nochmal besser finde.
In "Reckless: Steinernes Fleisch" lässt Cornelia Funke ihrer Fantasie freien Lauf und hält sie in bezaubernden Worten fest. Einzigartige Charaktere reisen zu magischen Orten und treffen auf Märchenwesen, die auf bisher ungekannte Weise dargestellt werden.