Mit dem zweiten Teil der historischen Dilogie KaDeWe hat sich Marie Lacrosse wieder viel Mühe mit ihren Recherchearbeiten gemacht und mich dadurch mit ihrem 704 Seiten starken Roman total in den Bann gezogen.
Ständig wechselnde Perspektiven lassen keine Langeweile aufkommen. Die datierten Ortsangaben über den Kapiteln sorgen dafür, dass man den Überblick nicht verliert. Dank diesem erlebt der Leser zum einen, wie ein Kaufhaus funktioniert und sich über die Jahre weiter entwickelt, wie ein ganzes Imperium der jüdischen Familie Tietz aufgebaut wird; auf der anderen Seite lässt die Autorin die Armut und den Elend der Bewohner von Berlin Wedding sowie die Arbeitskämpfe und die Bemühungen der Frauenrechtlerinnen so lebendig wiederaufleben, so dass der Leser alles hautnah miterleben kann. Hiermit sollte erwähnt werden, dass der Frauenbewegung bzw. der sozialen Arbeit der Frauen ein gewisser Raum im Roman gegeben wurde. Die historische Figur Alice Salomon wurde aus der Vergessenheit geholt und in vielen Kapiteln glaubhaft dargestellt.
Während der Jahre 1927 bis 1934 wird dem Leser ein breites Panorama des gesellschaftlichen und politischen Lebens bildhaft und mit einer Fülle von Fakten dargestellt. Durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten verändert sich vieles für die jüdische Bevölkerung, besonders für die Verkäufer und die Besitzer des KaDeWe.
Nicht nur die politischen Entwicklungen stehen im Fokus, sondern wie die Protagonisten ihren Weg durch diese Zeit gehen. Sowohl Judith, die keine Perspektive mehr sieht, ihre Forschungsprojekte in Deutschland weiter zu führen und der weiteren Beschimpfungen und Angriffen auszuweichen, als auch unmittelbar davon mitbetroffene Rieke müssen sich neuen Herausforderungen stellen und so einiges durchstehen. Die absurde Ansicht von der Stellung der Frau im Deutschen Reich wird gewaltsam durchsetzt. Das Leben wird von Jahr zu Jahr schwerer, auch für die Familie Tietz, der langsam die Kontrolle über die Kaufhäuser entzogen wird.
Der Schreibstil der Autorin ist wie gewohnt flüssig, spannend und gefühlvoll. Die Charaktere wurden in diesem zweiten Teil mit wesentlich mehr Ausdruckskraft beschrieben, dass sie, im Vergleich zum ersten Band, von jeder einzelnen Person ein volles Bild im Kopf erzeugten. Zum Beispiel Paul Bergmann oder seine Tochter Judith werden detaillierter ausgearbeitet und lebendiger in Szene gesetzt; ihre Handlungen werden hier nachvollziebarer beschrieben. Man kann sich mehr in ihre Gefühle, ihre Welt, ihre Arbeit hinein versetzen.
Fazit: Eine bewegende und facettenreiche Saga mit authentischen Milieuschilderungen, die mich in ihrem zweiten Teil stärker begeistern konnte! Schade, dass es keine Fortsetzung gibt!