"Was geschieht mit einem Leben, das man in Abhängigkeit von einem anderen führt?"
"Dann fange ich zu warten an, denn Du könntest ja jede Minute an der Tür klopfen, Du hättest umkehren können, weil es sich für Dich auch unnatürlich anfühlt, ohne mich zu sein. Als hätte man einen lebenden Organismus geteilt. Ineinander verflochtene Moose. Hörst Du das Reißen ihrer kleinen Wurzeln, wenn man sie teilt?"
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INHALT:
Muna lebt mit ihrer Mutter in der DDR. Ihre Mutter ist Schauspielerin am Theater und verbringt ihre freie Zeit mit viel Alkohol im Schlafzimmer. Zuletzt wurde sie bei der Arbeit immer unzuverlässiger und unzufriedener. Sie redete davon, sich vom Dach zu stürzen, bis sie eines Tages wegen zu viel Alkohol und Tabletten tatsächlich in die Klinik eingeliefert wird
Ihre Tochter Muna will nach dem Abitur Journalistin werden und macht ein Praktikum bei einer Zeitung und einem Magazin. Dort läuft sie dem zunächst mürrisch wirkenden Fotografen und Französischlehrer Magnus über den Weg.
Angetrunken verbringt sie eine Nacht mit ihm und schwebt sofort auf Wolke sieben.
Doch kurz danach verschwindet 1989 mit der Mauer auch Magnus, der eigentlich nur eine längere Radtour machen wollte
Muna macht sich Sorgen und vermisst ihn, beginnt jedoch schließlich Literatur zu studieren. Sie erlangt diverse Stipendien, die sie nach Berlin, London und Wien führen, nimmt zahlreiche Jobs an und besucht regelmäßig Theateraufführungen.
Auch wenn sie die ein oder andere Affäre hat und kaum gute Erfahrungen mit Männern macht, ist sie gedanklich immer noch bei Magnus. Wo steckt er nur?
Sie schreibt ihm zahlreiche Briefe, die ihn nie erreichen.
Erst sieben Jahre später, läuft sie ihm zufällig wieder über den Weg und sie gehen eine Beziehung miteinander ein.
Für Muna gibt es nur noch Magnus. Sie würde alles für ihn tun. Nur, um bei ihm zu sein.
Und als Magnus nach und nach abweisender und impulsiver reagiert und immer häufiger nicht davon abschreckt, Gewalt gegen sie anzuwenden, gibt sich Muna nur noch mehr Mühe mit ihm. Bis sie schließlich sich selbst und ihre eigenen Pläne aus den Augen verliert
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"Wie es aussieht, habe ich vorübergehend meinen Verstand verloren.
Sie sagte, so etwas passiert. Liebeswahn ist, ebenso wie Liebeskummer, wie eine Krankheit."
"Ich will den Schmerz nicht, aber ich will ihn. Aber was, wenn er ohne diesen Schmerz nicht zu haben ist ()?"
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MEINUNG:
Thematisch hat mich das Buch angesprochen, außerdem ist es auf der Shortlist für den deutschen Buchpreis 2023 gelandet. Da bin ich neugierig geworden und wollte mir selbst ein Bild machen.
Was beim Lesen direkt auffällt, ist, dass die wörtliche Rede im Text nicht als solche gekennzeichnet ist. Am Anfang war dies ein bisschen wie Rätsel raten: Was sagt jemand und was denkt Muna nur? Was bezieht sich auf sie selbst und was auf die Mutter?
Doch nach einigen Seiten gewöhnt man sich an den Stil, auch wenn ich nach jeder Unterbrechung, wieder etwas gebraucht habe, um hineinzufinden.
Dafür erfährt man auf diese Weise viel vom Innenleben von Muna, die ihre Geschichte aus der ersten Person Singular (Ich-Perspektive) erzählt.
Dennoch fiel es mir immer wieder schwer, ihr Handeln nachzuvollziehen. Ja, manchmal hat sie mich regelrecht wütend gemacht und ich hätte sie häufiger gerne geschüttelt, weil sie so naiv durch die Welt spaziert und fast alles mit sich machen lässt! Und Magnus hätte ich auch gerne einen Denkzettel verpasst!
Lesende müssen hilflos mit ansehen, wie Magnus Muna immer weiter in den Strudel hinabzieht und die Protagonistin sich dabei selbst zu verlieren scheint
Das beschert einem kein gutes Gefühl beim Lesen. Aber es handelt sich hierbei eben nicht um eine Friede-Freude-Eierkuchen-Lektüre.
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Beziehungen unterschiedlicher Art, vor allem die toxische Beziehung zwischen Muna und Magnus, aber auch die Beziehung zwischen der alkoholabhängigen Mutter und ihrer Tochter.
Ansonsten berichtet uns Muna von ihrem Literaturstudium und den Stipendien, ihren Affären, den abendlichen Theateraufführungen, ihren verschiedenen Jobs und den Leuten in ihren jeweiligen Unterkünften.
Etwa die ersten 100 Seiten des Buches haben mir richtig gut gefallen.
Muna erzählt von ihrer Beziehung zur alkoholabhängigen Mutter, die in der Klinik landet. Und in Rückblenden, wie sie Magnus kennengelernt und sich in ihn verliebt hat. All das habe ich gerne verfolgt.
Im weiteren Verlauf konnte mich das Buch häufig nicht mehr so erreichen. Es wollte nicht so recht harmonieren.
Muna blieb mir trotz der Ich-Perspektive leider immer wieder zu distanziert und es gab mir etwas zu viele Bett-Szenen.
Zudem hätte ich mir gewünscht, dass sich das Buch auf weniger Figuren und Schauplätze konzentriert und manche Szenen hätte ich nicht gebraucht. Das hat das Buch etwas in die Länge gezogen und in meinen Augen überfrachtet.
Aber ich kann mir gut vorstellen, dass andere Lesende mehr Gefallen an der Geschichte finden könnten.
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FAZIT: Ich fand die Geschichte thematisch interessant, aber stellenweise an Figuren und Schauplätzen zu überladen. Auch die Protagonistin blieb mir teilweise zu distanziert. Mein Buch ist es (bis auf den Anfang) leider nicht geworden, andere Lesende könnten durchaus anders empfinden. 3/5 Sterne!
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(C.N.: v. a. häusliche Gewalt, toxische Beziehung, beinahe Vergewa*tigung, Alkoholabhängigkeit)