"Gut Friesenhain" entführt den Leser meisterhaft in das Münsterland des Jahres 1895. Luise, als älteste Tochter der Grafenfamilie von Scheweney, steht vor einem vorbestimmten Leben als Ehefrau des Adligen Johan van Leeuwen. Doch ihre leidenschaftliche Natur und der innige Wunsch nach Selbstbestimmung führen sie auf einen fesselnden Weg. Luise träumt davon, Tiermedizin zu studieren und aktiv auf dem familieneigenen Gestüt mitzuwirken. Die Geschichte nimmt Fahrt auf, als sie heimlich an einer Frauenbewegungsveranstaltung teilnimmt und Max Brugge, einen Sozialdemokraten, kennenlernt. Die Fragen, warum Max Luise nicht loslässt, und welchen Weg ihr Herz einschlagen wird, stehen im Mittelpunkt.
Der Roman beeindruckt durch eine mitreißende Handlung, die von Frauenpower und tiefer Tierliebe geprägt ist. Die Charaktere Luise, Clara und Marie, deren Leben auf Gut Friesenhain miteinander verflochten ist, stehen vor ähnlichen Herausforderungen in Bezug auf Emanzipation. Die Authentizität und emotionale Tiefe der Erzählung sind beeindruckend und lassen den Leser in die Welt des Münsterlands eintauchen.
Die Erwartungen an diesen wahrhaftigen Wälzer von über 720 Seiten werden nicht nur erfüllt, sondern regelrecht übertroffen, indem die Geschichte einen förmlich durch die Seiten trägt. Zugegeben, der Schreibstil mag anfangs eine kleine Herausforderung darstellen, doch diese wird mit jeder Seite rasch überwunden. Die lebendige bildliche Darstellung haucht der Handlung zusätzliche Kraft ein, und das Personenregister am Buchende erweist sich als wertvoller Kompass im vielschichtigen Figurengeflecht.
Besonders bemerkenswert ist die Begegnung von Luise mit Paula und Hedwig, einem queeren Frauenpaar. Diese Bereicherung der Handlung hebt die Vielfalt menschlicher Beziehungen hervor und spiegelt die historische Realität von queeren Menschen wider.
Insgesamt präsentiert "Gut Friesenhain" eine gelungene Mischung aus historischem Hintergrund, fesselnder Handlung und facettenreichen Charakteren. Der Leser wird durch ein Netz von Beziehungen und Herausforderungen geführt, und die Vorfreude auf die Fortsetzung der Geschichten von Clara, Marie und Wilhelm ist spürbar. Mit seiner mitreißenden Erzählung verdient "Gut Friesenhain" eine Bewertung von 4.5 Sternen.