Als ich Issa gelesen habe, hatte ich das Gefühl, eine Tür zu öffnen, hinter der mehrere Leben gleichzeitig sprechen. Die Geschichte beginnt für mich mit einer scheinbar einfachen Entscheidung: eine junge Frau, schwanger und innerlich aufgewühlt, verlässt Deutschland, um in Kamerun ein paar Zeremonien über sich ergehen zu lassen, die ihr selbst fremd erscheinen. Was zunächst wie eine Ausweichbewegung wirkt, entpuppt sich schnell als Rückkehr zu etwas, das ihr näher steht, als sie geahnt hat.
Während ich Issa begleite, rücken mir nach und nach die Frauen ihrer Familie so nah, als säßen wir gemeinsam unter demselben Dach. Die Kapitel, die sich ihren Ahninnen widmen, haben mich besonders berührt. Sie öffnen Fenster in unterschiedliche Epochen, in denen Gewalt, koloniale Willkür und patriarchale Strukturen den Alltag prägten und dennoch sind diese Frauen alles andere als gebrochen. Ihre Widerstandskraft, aber auch ihr Humor, ihre kleinen Fluchten, ihre Loyalität zueinander leuchten durch jede Seite.
Mich hat beeindruckt, wie geschickt Mirrianne Mahn Vergangenheit und Gegenwart ineinander verschränkt. Statt schwerfälliger Geschichtsstunden entstehen intime Porträts, die mir koloniale Verbrechen und ihre Nachwirkungen greifbarer gemacht haben, als es ein reiner Sachtext hätte tun können. Gleichzeitig ist da immer wieder Leichtigkeit: ein scherzender Kommentar, ein überraschend warmherziger Moment, ein Bild, das mir ein Lächeln entlockt hat.
Was mich am meisten festgehalten hat, war jedoch Issas innere Bewegung. Zwischen Verlustangst, Trotz, Wut, Zärtlichkeit und Orientierungslosigkeit tastet sie sich langsam heran an die Frage, wie sie selbst Mutter sein möchte und welche Lasten sie nicht in die nächste Generation tragen will. Die Rituale, durch die sie geführt wird, sind weniger magisch als klärend; sie schenken ihr einen Blick auf die Linien, die sich durch ihre Familie ziehen, und vor allem die Möglichkeit, eine davon selbst weiterzuzeichnen.
Für mich ist Issa ein Roman, der sich anfühlt wie eine mündliche Erzählung am Feuer: intensiv, vielschichtig, voller Schmerz, aber getragen von Gemeinschaft. Mahn schafft den Spagat zwischen politischer Wucht und erzählerischer Wärme, zwischen Aufklärung und persönlichem Erleben.
Ich habe das Buch mit einem Gefühl der Dankbarkeit geschlossen für diese starken literarischen Stimmen, für den Mut der Figuren und dafür, dass Geschichten wie diese endlich ihren Raum bekommen.