In Deutschland hat noch niemals ein Wolf einen Menschen angegriffen. Bis jetzt? Mit dieser Frage wirft Tibor Rode seine Leser mitten hinein in einen ebenso spannenden wie verstörenden Wissenschaftsthriller, der aktueller kaum sein könnte
Inhalt:
Jäger verschwinden spurlos in deutschen Wäldern unter ihnen auch der Vater der Tierärztin Jenny Rausch. Gleichzeitig häufen sich Angriffe durch Wölfe, die wie von Sinnen handeln. Eine KI-überwachte Schutzanlage liefert merkwürdige Daten, die den Staatsanwalt Frederik Bach alarmieren. Ist es reine Natur oder steckt mehr dahinter? Inmitten der Ermittlungen stoßen Jenny und Frederik auf ein komplexes Geflecht aus familiären Geheimnissen, finsteren Kapiteln deutscher Geschichte und einer Technologie, die außer Kontrolle zu geraten droht. Die Spur führt sie bis auf eine berüchtigte Insel und tief in Jennys eigene Vergangenheit.
Meinung:
Mit sicherem Gespür für Timing und thematische Tiefe zieht Tibor Rode seine Leser in ein dichtes Netz aus Spannung, Wissenschaft und historischen Rückblenden. Die Sprache ist klar, prägnant und dennoch atmosphärisch genug, um das Bedrohliche der Szenerie spürbar zu machen.
Besonders gelungen ist die dramaturgische Struktur: Mehrere Handlungsstränge Gegenwart, Vergangenheit, Wissenschaft verlaufen zunächst nebeneinander, verzahnen sich jedoch zunehmend zu einem stimmigen Gesamtbild.
Ein kleiner Wermutstropfen ist die Vielzahl an Rückblenden und historischen Einschüben. Zwar liefern sie Kontext und Hintergrundwissen, doch nicht alle Szenen tragen gleichermaßen zur Spannung bei. An manchen Stellen wirken sie eher bremsend als vertiefend und hätten kompakter erzählt werden können, um den Lesefluss nicht zu stören.
Der Thriller greift ein brisantes Thema auf: die Rückkehr des Wolfs nach Deutschland. Rode reflektiert eindrucksvoll die gesellschaftliche Polarisierung zwischen Faszination und Furcht sowie die existenzielle Bedrohung etwa für Schäfer und ihre Herden. Gleichzeitig verknüpft er diese Debatte mit Fragen zu künstlicher Intelligenz, menschlicher Manipulation und historischen Traumata ein ungewöhnlicher, letztlich aber schlüssiger Mix, der die Geschichte auf mehreren Ebenen lesenswert macht.
Besonders eindrücklich: Viele der dargestellten Elemente basieren auf realen Begebenheiten, auf die der Autor in seinem Nachwort eingeht. So wird etwa seit Jahren tatsächlich an einem KI-gesteuerten Wolfsschutzzaun geforscht, der einzelne Tiere erkennt und individuell vertreiben kann. Auch das düstere Kapitel der nationalsozialistischen Rückzüchtungsprojekte ist dokumentiert. Diese Faktenfundierung verleiht dem Thriller eine zusätzliche, beunruhigende Tiefe Realität und Fiktion liegen hier bedrohlich nah beieinander.
Mich hat beeindruckt, wie Rode es schafft, aktuelle Themen mit gesellschaftlicher Relevanz in eine packende Handlung zu kleiden, ohne in Schwarz-Weiß-Muster zu verfallen. Die Figuren sind vielschichtig, ihre Motive nachvollziehbar. Jenny Rausch wirkt glaubwürdig und nahbar, Frederik Bach gibt dem Geschehen die nötige analytische Schärfe. Die KI-Komponente bringt zusätzliche Dynamik, ohne sich selbst zu sehr in den Vordergrund zu drängen.
Etwas mehr Zurückhaltung bei den Rückblenden hätte dem Erzähltempo jedoch gutgetan. Gerade im Mittelteil droht die Spannung zeitweise zu versanden, bevor der Plot gegen Ende wieder deutlich an Fahrt gewinnt.
Gerade das starke Nachwort verleiht der Geschichte eine zusätzliche Gänsehaut denn was wie düstere Fiktion erscheint, fußt vielfach auf realen Ereignissen.
Fazit:
Ein vielschichtiger Thriller mit realem Hintergrund, der nicht nur unterhält, sondern auch zum Nachdenken anregt.
4 von 5 Sternen für alle, die klug konstruierte Spannung mit Substanz zu schätzen wissen.