Mit "Der Seher" präsentiert Elias Haller einen packenden Thriller, in dem Kryptologe Arne Stiller einen besonders rätselhaften Fall übernimmt. Alles beginnt mit einem brutalen Streit auf einer Baustelle im Dresdner Zwinger, bei dem eine vergrabene Zeitkapsel mit menschlichen Knochen entdeckt wird. Schnell stellt sich die Frage: Gibt es eine Verbindung zu einem Säugling, der vor 17 Jahren spurlos verschwand? Noch bevor Stiller diesen Code entschlüsseln kann, wird erneut ein Baby entführt und wieder taucht eine verschlüsselte Todesanzeige auf. Während Stiller unter Hochdruck ermittelt, sorgt ein Hellseher, der sich in den Fall einmischt, für zusätzliche Verwirrung.
Meine Meinung
Der Einstieg in das Buch fiel mir leicht, auch wenn es mich nicht sofort gefesselt hat. Besonders gut gefallen hat mir die klare Struktur mit Zeit-, Datums- und teilweise Ortsangaben zu Beginn der Kapitel, was hilft, den Überblick zu behalten. Auch die eher kurzen Kapitel sorgten für ein angenehmes Lesetempo, wobei sie für meinen Geschmack etwas länger hätten sein können.
Ein interessantes Stilmittel war die Einbindung eines True-Crime-Podcasts als zusätzliche Erzählebene. Das war eine spannende Abwechslung und hat mir als True-Crime-Fan besonders gut gefallen. Auch die frühe Erklärung des Buchtitels auf Seite 18 fand ich positiv bei vielen Thrillern bleibt das bis zum Schluss ein Rätsel.
Inhaltlich nimmt das Buch schnell Fahrt auf: Schon auf Seite 30 geschieht der erste Mord, bei dem man anfangs glaubt, den Täter oder die Täterin zu kennen doch Haller dreht die Erwartungen geschickt. Die Perspektivwechsel, insbesondere aus Sicht des oder der Täter:in, haben mir gefallen, hätten aber noch intensiver genutzt werden können.
Was mir hingegen negativ aufgefallen ist, sind einige problematische Darstellungen. Besonders die Beschreibung des Stadtteils Dresden-Plauen empfand ich als stereotype und generalisierende Darstellung von Migrant:innen. Passagen wie die auf Seite 44/45 (Die Namen an den Briefkästen lasen sich wie eine Reise durch Osteuropa und den Orient) verstärken klischeehafte Bilder und suggerieren eine Trennung zwischen fremden und deutschen Kulturkreisen, die in einer globalisierten Welt so nicht existiert. Zudem wurden migrantische Lebensräume mit negativen Attributen wie Tumult und seltsame Gerüche beschrieben, was ich als unnötig problematisch empfinde.
Auch sexistische Elemente sind mir mehrfach aufgefallen, besonders in der Darstellung weiblicher Figuren. Beispielsweise wird Natascha Liers Attraktivität aus der Perspektive von Arne Stiller bewertet, was in Bezug auf ihre Rolle in der Geschichte völlig irrelevant ist. Ähnlich fragwürdig war die Verwendung des N-Wortes in einem Dialog, ohne jegliche Kontextualisierung oder kritische Reflexion.
Dennoch bietet das Buch auch viele Stärken: Die Dynamik zwischen Arne und Sandy sorgt für humorvolle Momente, die den düsteren Ton der Geschichte auflockern. Der Kriminalfall selbst ist clever konstruiert und bleibt bis zum Ende spannend. Dass die Auflösung für mich überraschend kam, spricht für das geschickte Plotten des Autors. Die Verbindung zum Erlkönig-Gedicht war ebenfalls ein interessantes Element, das ich bis dahin nicht kannte.
Was mich etwas irritiert hat, war Arnes unklare Haltung zu rassistischen Äußerungen. Auf Seite 276 bleibt offen, ob er eine fremdenfeindliche Aussage ironisch meint oder ob er sie teilt das hätte deutlicher herausgearbeitet werden müssen. Positiv ist hingegen, dass er sich zumindest gegen eine sexistische Bemerkung gegenüber Sandy stellt, auch wenn er dabei noch bestimmter hätte sein können.
Das Finale ist rasant und packend. Die Auflösung war für mich nicht vorhersehbar, aber dennoch schlüssig. Besonders die moralische Frage rund um Arnes beinahe tödlichen Schuss auf den oder die Täter:in wurde gut dargestellt auch wenn er sich in einer Extremsituation befand, hätte er mit Disziplinarmaßnahmen rechnen müssen.
Abschließend hat mir gefallen, dass das Nachwort auf realen Inspirationen für die Geschichte hinweist. Das gibt dem Buch eine zusätzliche Tiefe und zeigt, wie sehr sich Haller mit seinen Themen auseinandersetzt.
Fazit
Der Seher ist ein spannender und clever konstruierter Thriller, der mit seinem komplexen Fall, gutem Erzähltempo und überraschenden Wendungen punktet. Leider trüben stereotype Darstellungen und problematische Formulierungen das Lesevergnügen. Inhaltlich wäre das Buch für mich eine 4-Sterne-Wertung wert, aber aufgrund der gehäuften klischeehaften und teils diskriminierenden Beschreibungen ziehe ich einen halben Punkt ab. 3,5 von 5 Sternen.