Janis und Sina begegnen sich im Schlaflabor. Die eine arbeitet dort, die andere will wieder schlafen lernen. Mit kurzen erklärenden Sätzen verkabelt Janis routiniert Sina mit den Messgeräten, um ihren Schlaf zu überwachen. Dabei entsteht ein zartes unsichtbares Band zwischen den Frauen. Sina, Lehrerin, Ehefrau und Mutter, aufgeregt ob der kommenden Nacht, die ihren Schlaf durch Gehirnströme offenlegt, einer gewissen Blöße gleich, verschwindet dieses Mal ohne Tablette in ihre Träume, deren Auswirkungen Janis über die Geräte und Körperbewegungen auswerten kann.
Janis Arbeit im Schlaflabor hinterläßt eigene Spuren, die ihren allein lebenden Alltag umgekrempelt haben. Durch Sina kommt ein neuer Impuls in Janis farbloses Leben im Schatten der Nächte.
In der fein abgestimmten Wortwahl entwickelt sich ein subtiler, fast traumartiger Sog, in den die Autorin Tamar Noort uns in die Tiefen der Nacht und in die Leben ihrer Protagonistinnen einsaugt.
Durch detaillierte Beobachtungsgabe prägen Zwischentöne ein sanftes Bild innerer Augenblicke.
Sätze wie Sina wird jetzt wieder hergestellt, weil sie bei ihr, Janis, endlich schlafen kann zeugen von unausgesprochener Geborgenheit, die sich still eingeschlichen hat. Während Sina schläft, erfahren wir durch Rückblendungen genug über ihr vollgefülltes, überbordendes Leben.
Janis kommen wir in einem anderen Teil des Buches näher.
Die Autorin sorgt für spannende Veränderungen, die sich leise aber gewichtig ergeben. Überraschungsmomente trösten über wenige, kaum erwähnenswerte Längen hinweg, wie die Längen im Leben, die auf den nächsten Seiten, am nächsten Tag schon bald vergessen sind.
Janis und Sina, zwei Frauen, die sich während des Kennenlernens selbst näher kommen, weil sie sich spiegeln, holen gegenseitig Verborgenes aus sich heraus und müssen sich in teils schmerzhafter Auseinandersetzung dem stellen, um letztendlich daran zu wachsen.
Das Thema Schlaf wird in zwei Lebensgeschichten eingeflochten und auf interessante Weise beleuchtet - ein wichtiges Thema in Zeiten Burn-Outs und Funktionieren-Müssen. Gerade Sina als Lehrerin rückt Schlaf in einen anderen Fokus auch in der Schule und trifft dabei einen provokanten Nerv.
Im Cover wirft dezentes Tageslicht Schatten in einen Raum, läßt helle Streifen aufleuchten, und auch die große Tasse verbirgt Geheimnisvolles einer nachdenklichen Frau. Dennoch strahlt diese Szene insgesamt eine schwerelose Ruhe aus.
Tamars bewegende Erzählkraft und herausragende Sprachgestaltung fängt uns ein wie ein beschützender Mantel, der von Innen wärmt, noch bevor man merkt, dass ein bißchen von Janis und Sina auch in uns steckt.
Man ist ziemlich glücklich mit diesem Buch! Es hat mich gleichermaßen verwirrt und angezogen, erfrischt und berauscht, berührt und mitgerissen und vor allem irgendwie so beeindruckt, dass es schwer fällt, die richtigen Worte zu finden, die dieses Buch verdient!
Wer Ava liebt noch oder Bücher von Caroline Wahl mag, dem empfehle ich Tamar Noort von Herzen! Danke für diese außergewöhnliche Aus-/LeseZeit!!