"Ich hab mich vom Großvater ins Tal schleppen lassen und vom Peter nach Wien. Ich war dort, wo man mich hingepflanzt hat, wie ein Ziergewächs in einem Topf.
Jetzt bin ich hier und wuchere."
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INHALT:
Marie hat den Zug aus Wien genommen, um nun im Dunkeln auf die Tiroler Alm ihrer Cousine Johanna zu stolpern.
Panik macht sich in ihr breit, während sie Wälder und den eiskalten Bach durchquert. Sie fühlt sich verfolgt. Was, wenn sie ihr bereits auf der Spur sind?
"Wenn einen die Angst mal hat, dann hängt sie dran an einem, als wär man in ein Spinnennetz gerannt. Spinne immer noch im Nacken, Fäden in den Haaren."
Johanna lebt seit Jahren allein und abgeschieden auf dem Berg und versorgt sich selbst, dort, wo die Großeltern früher wohnten.
Sie war schon als Kind tief verbunden mit der Natur und den Tieren, galt für die meisten Menschen als sonderbar und hat eines Tages das Sprechen größtenteils eingestellt.
Marie dagegen war das liebe und verwöhnte "Engerl" aus der Stadt, wollte sich später auf ihre Karriere konzentrieren, bis das Leben ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. In der Ehe mit Peter lässt sie sich häufig zu viel gefallen und fühlt sich oft für dessen Wutausbrüche verantwortlich.
"Entweder die Leute himmeln mich an (...), oder sie finden, ich bin jemand, auf den dringend eingeprügelt werden muss."
Zwei so unterschiedliche Frauen, die damals als Kinder so manchen Sommer zusammen auf der Alm verbracht haben, aber zuletzt nicht im Guten auseinandergegangen sind - können sie sich überhaupt wieder aufeinander zubewegen?
Denn zwischen ihnen liegt vieles, was bis heute nie angesprochen wurde, aber plötzlich wieder spürbar wird ...
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MEINUNG:
Dies ist eines der Bücher, das mich von Anfang an gepackt und nicht mehr losgelassen hat. Ich bin regelrecht durch die Geschichte geflogen, obwohl gar nicht so viel an Handlung geschieht. Vielmehr richtet die Lektüre ihr Augenmerk auf zwischenmenschliche Beziehungen und auf die Gefühle und Erinnerungen, die mit ihnen verbunden sind - auch jene aus der Kindheit. Darunter das Gefühl von Schuld und die Sehnsucht nach Annahme und Anerkennung.
Meine Aufmerksamkeit blieb durchgehend erhalten. Dadurch, dass erst nach und nach aufgedeckt wird, warum genau Marie die Flucht ergriffen hat und was sich damals zwischen dem Großvater, Johanna und ihr ereignet hat, konnte ich das Buch kaum zur Seite legen.
Katharina Köller schreibt mal poetisch (ohne dass es kitschig wird), dann eine Prise humorvoll, aber oft auch ernst und mit Gefühl.
Sie stellt zwei unterschiedliche Frauen, die beide durch ihre Vergangenheit miteinander verbunden sind, in den Mittelpunkt und zeigt uns deren Wege zur Selbstermächtigung. Dabei habe ich Marie und Johanna gerne und mit großem Interesse begleitet und ich war gespannt, wie sich die Situation zwischen ihnen entwickeln würde.
Die Figurenzeichnung empfand ich als differenziert und abwechslungsreich.
Mich hat Katharina Köllers Schreiben bewegt und ich wäre gerne noch länger in der Geschichte geblieben.
Zudem hat mir die naturnahe Alpen-Kulisse gut gefallen, die gekonnt zur aufreibenden, intensiven Atmosphäre des Buches beiträgt.
"Wild wuchern" habe ich sowohl gelesen, als auch gehört und mochte beides.
Der lebendige Schreibstil des Buches hat mir gut gefallen. Dabei werden vor allem Maries Gedanken und Gefühle spürbar, die auf mich authentisch wirkten.
Allerdings kommt der Dialekt der Österreicherin im Hörbuch (gesprochen von der Autorin selbst) besonders gut zur Geltung, und auch den leichten Sarkasmus und Humor konnte ich dort noch deutlicher wahrnehmen.
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FAZIT: Eine fesselnde Geschichte, durch die ich regelrecht geflogen bin und die ich gerne weiterempfehle, wenn euch die Auseinandersetzung mit zwischenmenschlichen Beziehungen, traumatischen Erfahrungen und der Selbstermächtigung von Frauen interessiert.
Beim Buch kommt der lebendige Schreibstil gut zur Geltung - ich habe einige tolle Zitate daraus mitnehmen können: 4,5/5 Sterne!
Das Hörbuch punktet für mich mit dem Dialekt der Österreicherin und der sarkastischen Note und versprüht dadurch noch mehr Charme: 5/5 Sterne!
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(C. N.: Häusliche/ körperliche & psychische Gewalt; exhibitionistisches Verhalten)