Margit Weiß setzt sich in ihrem Roman Was man nicht sieht, ist doch da mit den erschütternden Ereignissen in einem Kindererziehungsheim von 1954 in Tirol auseinander. Der Zweite Weltkrieg ist seit fast einem Jahrzehnt beendet. In den Köpfen der Lehrer und Erzieher ist das Gedankengut der Nazis noch fest verankert und beherrscht durch unmenschliche Handlungen den Alltag der kleinen weggesperrten Jungen.
Der zehnjährige Hans ist einer der Opfer rassistischer Denunzierungen der Ladiner, einer Südtiroler Volksgruppe, die im Tirol mit Ausgrenzungen und Rechtlosigkeit zu kämpfen hatten. Aus dem Unterricht am Tag der Hochzeit seiner älteren Schwester wurde er unter einem fadenscheinigen Grund verschleppt. Die Familie erfährt nur zufällig davon und versucht natürlich, ihren Sohn nach Hause zurück zu holen. Doch das gestaltet sich zu einem aussichtslosen Unterfangen. Hans muss aushalten und seine kleine, zarte Kinderseele wird über Jahre auf eine harte Probe gestellt durch körperliche Gewalt und psychische Erniedrigungen. Er selbst versucht sich seinem Schicksal zu entziehen, indem er sich als Person nur noch von außen betrachtet.
Die Autorin schreibt in einem sehr nüchternen Schreibstil, der aus meiner Sicht passend zur Gesamtsituation der Geschichte gewählt ist. Die Perspektivwechsels zu verschiedenen Protagonisten ergeben ein umfassendes sehr differenziertes Gesamtbild und verdeutlichen die Grausamkeit der Kindesmisshandlungen, die Ängste der Familie und nicht zuletzt auch die Gedankenstruktur der misshandelten Kindesseelen.
Um nicht zu vergessen setzt die Autorin all jenen ein Denkmal, die durch diese harte Prüfung gehen mussten und einen schweren Weg zurück ein selbst bestimmtes Leben beschreiten mussten.