Vea Kaiser erzählt in ihrem rasanten neuen Roman von einer jungen Frau, die ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt. Als Tochter einer Hausbesorgerin im Gemeindebau lernt Angelika Moser als Buchhalterin im Grand Hotel Frohner in der Wiener Innenstadt eine unbekannte, elegante Welt kennen. Ihre Freizeit widmet sie Ende der Achtzigerjahre dem Nachtleben, beruflich erfindet sie eine fantasievolle Buchhaltung, damit das Grand Hotel bestehen bleiben kann. Als sie plötzlich alleinerziehend ist, helfen ihr diese manipulierten Rechnungen auch auf privater Seite. Das geht zwar Jahrzehnte lang gut, fällt aber irgendwann doch auf.
Ein heller Umschlag mit prachtvollem Kronleuchter und dem Titel in auffallend großen Lettern verbirgt ein in Gold gehaltenes Hardcover mit Lesebändchen. Eine edle Aufmachung, die ganz ins Ambiente eines Nobelhotels passt. Kaiser erzählt die Geschichte in drei Akten, die in Kapitel mit aussagekräftigen Überschriften unterteilt sind. Neben Prolog und Epilog verfügt das Buch über Zitatnachweise und ein Inhaltsverzeichnis des umfangreichen Werks, sowie ein kleines Wienerisch-Wörterbuch, da im Text auch immer wieder typische Ausdrücke fallen, die nicht von allen verstanden werden.
Vea Kaiser fabuliert meisterhaft und sprachlich brillant. Geschichten aus dem Gemeindebau stellt sie jenen des Grand Hotels gegenüber. Immer wieder blitzt auch der Wiener Opernball auf, wenn die Bewohner der Gemeindewohnungen per Fernsehübertragung der Freizeit der oberen Zehntausend folgen dürfen. Soziale Unterschiede werden sichtbar, die menschliche Natur und die Moral scheint auf beide Seiten gleich verteilt zu sein. Anlass für dieses Buch lieferte zwar eine wahre Geschichte, der Lebensweg der Protagonistin Angelika Moser bleibt aber fiktiv. Dennoch sind immer wieder auch Kapitel eingestreut, die beim Besuch der Autorin im Gefängnis entstanden sein sollen, wo die Protagonistin schließlich landet.
Die Charaktere sind sehr lebensecht und unterschiedlich gezeichnet; manche verstellen sich und setzen eine Maske auf, andere agieren stets authentisch. Die angekündigte Kraft starker Frauenfreundschaften habe ich in der Geschichte weniger verspürt, dass es darum geht, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und neue Wege zu gehen, aber dafür sehr stark. Es sind tatsächlich überaus außergewöhnliche Maßnahmen, die Angelika Moser ergreift, um als junge alleinerziehende Mutter ihr Leben zu sichern. Die Autorin greift unterschiedliche Themen auf, wie Alkohol und Drogen, Demenz, Kunst und Musik, und bringt vor allem das Ambiente der Achtziger Jahre zum Erstehen. Durch das detailreiche Erzählen entstehen etliche Längen; manchmal hätte ich mir daher eine Straffung gewünscht. Rückblickend konnte ich aber erkennen, dass jedes Wort zum Fortsetzen der Geschichte nötig war.
Insgesamt handelt es sich um eine recht außergewöhnliche Lebensgeschichte, die mit viel Witz und Lebendigkeit erzählt ist.