Das Buch Heimat von Hannah Lühmann, erschienen im Hanser-Verlag im August 2025, lässt mich auch Tage nach der Lektüre ratlos zurück. Während des Lesens wuchs mein Unwohlsein von Seite zu Seite. Die Geschichte beginnt vermeintlich harmlos: Jana und Noah sind Eltern zweier Kindergartenkinder, ein drittes ist unterwegs. Auf der Suche nach Ruhe und Idylle ziehen sie in eine Kleinstadt. Dort findet Jana schnell Anschluss. Vor allem in Carolin sieht sie eine Freundin und ein Vorbild. Carolin ist eine strahlende, selbstbewusste Frau, die in sozialen Medien ein perfektes Leben inszeniert: Brot backen, Waldausflüge, strahlende Kinder. Carolin ist eine Tradwife, eine Frau, die ein traditionelles Rollenbild lebt und stolz darauf ist. Doch hinter der makellosen Fassade verbirgt sich ein reaktionäres, nationalistisch aufgeladenes Weltbild: Abtreibungsgegnerin, Verfechterin von Homeschooling, klar gegen Migration. Über soziale Medien erreicht sie Tausende, darunter bald auch Jana und mit jedem Like gerät Jana tiefer in den Bann dieser vermeintlich heilen Welt.
Die Autorin beschreibt diese schleichende Faszination beklemmend realistisch. Der Lesende spürt, wie sich Jana immer stärker von ihrem Partner Noah entfremdet, während sie sich zunehmend nach der Anerkennung in Carolins Umfeld sehnt. Doch über allem liegt ein Schatten: Warum ist Jana so bereitwillig, ihre eigenen Überzeugungen über Bord zu werfen? Selbst als die Nähe zur AfD und deren Gedankengut offen zutage tritt, bleibt Jana passiv. Statt Widerspruch oder Aufbegehren treibt sie nur eine Frage um: Wer ist die bessere Mutter? Doch auch Noah bleibt überraschend passiv und kämpft nicht um seine Familie. Er vertritt seine Werte, doch nicht seiner Lebenspartnerin gegenüber sondern vielmehr seinen Schülern und der Gesellschaft.
Lühmanns Sprache ist leicht, fast unauffällig, und gerade dadurch wirkungsvoll. Sie erzeugt eine Sogwirkung, der man sich kaum entziehen kann. Ich habe das Buch in einem Zug durchgelesen, ständig auf eine Konfrontation oder einen Wendepunkt hoffend vergeblich. Jana bleibt eine Figur, die in ihrer Unentschlossenheit frustriert. Noah, der eigentlich den Gegenpol zu Carolins Ideologie bilden könnte, bleibt blass und zieht sich zurück, anstatt Haltung zu zeigen.
Heimat greift ein hochaktuelles Thema auf: die Rückkehr zu überholten Rollenbildern, die Sehnsucht nach vermeintlicher Sicherheit und die ideologische Unterwanderung von Familien- und Erziehungsdiskursen. Besonders deutlich wird der Druck, den Frauen wie Carolin auf andere Mütter ausüben, indem sie ihr Lebensmodell als einzig richtig darstellen. Die Andeutungen im Roman sind zahlreich, aber oft vage ich hätte mir an manchen Stellen mehr Schärfe gewünscht. Vielleicht ist es aber gerade diese Unbestimmtheit, die den Text so beunruhigend macht: Wie leicht kann man in eine Welt hineingezogen werden, die man eigentlich ablehnt?
Trotz meiner Kritik konnte ich das Buch nicht aus der Hand legen. Lühmann zwingt ihre LeserInnen, sich mit unbequemen Fragen auseinanderzusetzen: Wie stabil sind unsere Überzeugungen, wenn die Sehnsucht nach Zugehörigkeit groß ist? Wo endet Heimat und wo beginnt Ideologie?