Yuko Kuhns Debütroman Onigiri erzählt die Geschichte einer Mutter-Tochter-Beziehung, die von Krankheit, Erinnerung und kultureller Herkunft geprägt ist. Im Mittelpunkt steht Aki, deren Mutter Keiko an Demenz erkrankt ist. Nach dem Tod der Großmutter beschließt Aki, mit ihrer Mutter nach Kobe in Japan zu reisen zurück an den Ort, den Keiko einst verlassen hat und der tief in ihrem Gedächtnis verwurzelt ist. Diese Reise wird zu einer leisen, aber intensiven Auseinandersetzung mit Vergänglichkeit, Identität und familiären Bindungen.
Die titelgebenden Onigiri, kleine japanische Reisbällchen, sind dabei mehr als nur ein Symbol für Heimat. Sie stehen für Trost, Nähe und die unsichtbaren Fäden, die Familienmitglieder auch in Zeiten der Sprachlosigkeit miteinander verbinden. Immer wieder schafft Kuhn in kleinen Szenen Momente der Nähe zwischen Mutter und Tochter sei es beim gemeinsamen Essen oder in kurzen Augenblicken, in denen Keikos Erinnerung wieder aufflackert. Gerade diese stillen, alltäglichen Beobachtungen sind es, die dem Roman seine besondere poetische Kraft verleihen.
Sprachlich überzeugt Onigiri durch seine ruhige, klare und oft zärtliche Erzählweise. Kuhn schildert die Begegnungen, Rückblenden und inneren Monologe mit einer Zurückhaltung, die dem Thema Demenz gerecht wird, ohne ins Sentimentale abzurutschen. Die Sprache ist schlicht, aber atmosphärisch dicht, sodass schon kleine Details eine große emotionale Wirkung entfalten können.
Gleichzeitig ist der Roman nicht frei von Schwächen. Mehrere Rückblenden und Zeitsprünge sorgen dafür, dass die Handlung stellenweise fragmentarisch wirkt. Manchmal fällt es schwer, die Zeitebenen klar auseinanderzuhalten. Auch der Ton bleibt bewusst distanziert was einerseits zur Ruhe und Sanftheit des Textes passt, andererseits aber dazu führen kann, dass manche Leserinnen und Leser eine stärkere emotionale Nähe zu den Figuren vermissen.
Insgesamt ist Onigiri ein stiller, feinfühliger Roman, der weniger durch äußere Spannung als durch innere Atmosphäre überzeugt. Yuko Kuhn gelingt es, die Themen Erinnerung, Herkunft und Mutter-Tochter-Liebe auf unaufdringliche Weise zu verknüpfen. Wer eine laute, dramatische Geschichte erwartet, könnte enttäuscht werden. Wer sich jedoch auf die ruhige Erzählweise einlässt, wird mit einem berührenden, poetischen Leseerlebnis belohnt, das lange nachklingt.