Onigiri hat 208 Seiten und ist eine Deutsch-japanische Geschichte. Das Cover passt optisch sehr gut zu dem, was man als Leser dargeboten gekriegt hat. Mir hat die Erzählung sehr gut gefallen, sie hat mich in vielen Momenten zum Nachdenken gebracht. Im Großen und Ganzen ist es dem Autor gelungen, mich emotional abzuholen. Der Schreibstil ist leicht, locker, flüssig, es kommt keine Langeweile auf. Die Abschnitte haben eine angenehme Leselänge, aber man muss sich für dieses Buch bewusst Zeit nehmen.
Erzählt wird es auf zwei Zeitebenen, parallel Akis sowie Keikos Geschichte. Zuerst die Vergangenheit von Aki, dann die Gegenwart und die Reise. Eine komplizierte und nicht immer einfache Mutter-Tochter Beziehung. Es beginnt damit, dass Aki erfährt, dass ihre Oma Yasuko mit 102 Jahren verstorben ist. Sie bucht eine Reise für 2 nach Japan und möchte ihre Mama mitnehmen. Ihre Mama ist an Demenz erkrankt, es ist schon weit fortgeschritten, sie möchte es ihr aber trotzdem ermöglichen nochmal nach Japan zu reisen und diejenigen noch einmal zu treffen, die sie kennen oder die, die sie noch erkennt. Es wird eine Herausforderung für beide, das hat sich Aki nicht so ganz vorgestellt. Keiko hat ihre gewohnte und ihre vertraute Umgebung verlassen, trotz Aki an ihrer Seite ist der Flug und die Nacht im Hotel mit sehr viel Stress verbunden. Sie wirkt gestresst und verloren, ist sehr unruhig. Aki versucht ihr zur Seite zu stehen und unterstützt sie, so gut sie kann. Doch beim Essen im alten Elternhaus ist plötzlich alles anders, sie spricht klar, beteiligt sich an Gesprächen, wirkt fröhlicher als sonst. Das erfreut Aki sehr. Erst auf dieser Reise merkt Aki, wie stark, mutig und lebenshungrig ihre Mutter war, bevor sich in Deutschland diese grosse, für Keiko so bedrohliche Müdigkeit und Erschöpfung über sie legte. Sie kam als junge engagierte Frau nach einem Lehrerstudium in ein anderes Land. Sie lebte, arbeitete, verliebte sich, bekam Kinder. Ihr Mann wurde plötzlich psychisch krank. Sie ist alleine auf sich gestellt, muss das Leben meistern und alles allein bewältigen: ein neues Land, eine andere Kultur. Keiko hat reiche Schwiegereltern, was nicht immer so ein Vorteil ist. Sie hatte sich oft anderen Beistand von ihnen gewünscht, mehr Akzeptanz, mehr Gespräche, mehr Zugehörigkeit, mehr Liebe. Aki als ihre Tochter, die in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, ärgert sich oft über ihre Mutter, über ihr typisch japanisches Verhalten und Denken. Das bringt aber die Kultur mit sich. Erst jetzt nach vielen, vielen Jahren begreift sie, warum es damals so war.
In der Geschichte werden viele Themen angesprochen: Demenz, Depression, Alleinerziehung, Armut, Reichtum, moralische Grenzen, Anerkennung, menschliche Beziehungen, Familie, Liebe, unausgesprochene Wünsche und Erwartungen, fremde Kulturen, Integration. Eine sehr bewegende Geschichte zweier Kulturen mit ihren Höhen und Tiefen, mit vielen Erlebnissen und Begegnungen. Aki als neue Persönlichkeit, weil sie jetzt auf dieser Reise das Ganze zum ersten Mal aktiv mit anderen Augen sieht. Was Ihre Mutter in ihrem Leben erleben und durchmachen musste, was sie alles so geprägt hat, dass sie zu so einer Person geworden ist. Eine Reise mit Tiefgang. Die Protagonisten wirkten in ihrem Dasein sehr präsent und lebensecht. Mir hat es sehr gut gefallen. Vergebe deshalb 4 Sterne und eine Weiterempfehlung.