Studienarbeit aus dem Jahr 1998 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1, 0, FernUniversitä t Hagen (Institut fü r Neuere Deutsche und Europä ische Literatur), Sprache: Deutsch, Abstract: Wer Lessings Nathan der Weise aufschlä gt, findet als Untertitel den Eintrag "Ein dramatisches Gedicht in fü nf Aufzü gen". Die Bezeichnung "dramatisches Gedicht" mutet seltsam an. Handelt es sich denn nun um ein Drama, oder um ein Gedicht? Gegen Mitte des Dramas wird der Leser bzw. Zuschauer nochmals mit solch einer Aufhebung der Gattungsgrenzen konfrontiert: Nathan der Weise erzä hlt ein Mä rchen, oder, genauer gesagt, eine Parabel. Diese Abweichungen von der Poetik des Aristoteles, die im Drama des 18. Jahrhundert in vielerlei Hinsicht noch befolgt wurde, befremdeten die damaligen Rezipienten des Stü ckes sicher noch mehr als die heutigen.
Allerdings hat Lessing, der eine eigene Dramentheorie entwarf, in der er die traditionellen Formen erweiterte, diese Technik ganz bewuß t eingesetzt, denn sie steht in einem engen Zusammenhang zum Inhalt des Stü ckes. Wenn eines der Leitthemen des Nathan der Streit zwischen Vertretern verschiedener Religionen um den rechten Glauben ist und hier verschiedene Menschengruppen miteinander in Kommunikation treten, warum sollte dann die Gattung Drama nur fü r sich allein und ganz abgeschottet von anderen literarischen Gattungen den Rahmen bilden?
Doch noch in anderer Hinsicht eignet sich die Einfü gung der Parabel ganz besonders zur Untermauerung des Drameninhalts: Wenn Nathan eine Art Weisheitslehrer ist und den anderen Figuren Erkenntnisse ü ber religiö se Problemstellungen vermitteln soll, dann drä ngt sich sofort der Vergleich mit Jesus Christus auf, der ebenfalls seine Lehren durch Parabeln (oft wohl fä lschlicherweise als Gleichnisse bezeichnet) veranschaulichte. Allerdings hat die Ringparabel in Nathan der Weise nicht lediglich die Funktion, durch einen bildhaften Vergleich das zu Erkennende noch einmal anders zu verdeutlichen, vielmehr ist sie geschickt mit dem gesamten Handlungsverlauf verflochten und spiegelt nicht nur diesen, sondern auch sich selbst in ihm.
Wie Lessing das im einzelnen konstruiert hat, wollen wir in dieser Arbeit untersuchen, wobei wir zunä chst einmal auf Figuren und mehrere leitende Themen des Stü ckes eingehen, die bis zum Einsetzen der Ringparabel entfaltet werden, um dann in einem zweiten Schritt zu durchleuchten, wie die Parabel diese Themen aufnimmt und im Rest des Stü ckes weiterfü hrt.