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Immer noch sind die Geschehnisse um die RAF ( Rote Armee Fraktion), die in den siebziger Jahren unsere Republik aufs Äußerste bewegten, nicht zu verstehen und nur schwer aufzuarbeiten.
1977 ermordete ein RAF Kommando den Bankier Jürgen Ponto.
Susanne Albrecht, Tochter eines engen Freundes der Familie Ponto, hatte sich im Juli 1977 unter Missbrauch des Vertrauensverhältnisses, das zwischen den Familien bestand, Zugang zum Hause Ponto verschafft. Sie brachte bei ihrem Besuch zwei Mittäter herein, von denen einer nach einem missglückten Entführungsversuch Jürgen Ponto erschossen hat.
Jetzt haben zwei Angehörige der in den Mord an Jürgen Ponto verwickelten Familien einen Versuch zur Annäherung gewagt.
Julia Albrecht, die Schwester von Susanne Albrecht, und Corinna Ponto, Tochter des ermordeten Jürgen Ponto, haben dreißig Jahre nach der Tat in einem Dialog die unterschiedlichen Erfahrungen noch einmal lebendig werden lassen. In Briefen, Zeugnissen und bewegenden Erinnerungen schildern sie aus der jeweils eigenen Sicht ihre Wahrnehmung der Tat und der Täter.
Dass die kleine Schwester von Susanne, die zur Tatzeit erst 13 Jahre alt war, unter dem Verlust der Schwester litt und sich lange Jahre geschämt hat, wenn sie dem Konterfei ihrer Schwester Susanne an jeder Litfaßsäule begegnete, kann sie glaubhaft schildern. Corinna Ponto, zur Tatzeit schon 20 Jahre alt, berichtet aus ihrer Sicht das Trauma, dem sie vom Tatzeitpunkt an ausgesetzt war. Es geht hier aber nicht nur um den Augenblick der Tat, sondern beide zeichnen ihr Familienleben nach, berichten über Herkunft, Kriegsfolgen und Aufbruchzeiten ihrer Eltern. Die Väter hatten sich im Studium kennen gelernt, wurden erfolgreiche Juristen und lebten ein komfortables Leben nach den Schrecknissen des Krieges, die sie endlich hinter sich lassen konnten. Nach der Heirat und Geburt der Kinder setzten sie ihre Beziehungen als
Familienfreundschaft fort. Das furchtbare Attentat auf Jürgen Ponto wog jedoch so schwer, dass die Familienkontakte in der Folge eingestellt wurden. Julia Albrecht war das Patenkind von Jürgen Ponto, Corinna das von Hans-Christian Albrecht.
In dem als Dialog bezeichneten Rückblick werden die vorhandenen Zeugnisse, Briefe und Aussagen übergangslos nebeneinander gestellt. Das verdichtet den Bericht zu einem außergewöhnlichen Dokument, in dem die so unterschiedlichen Gefühlslagen der beiden Frauen unabhängig voneinander aufgezeichnet sind. Das Leid der beiden ist tief und schmerzlich. Am Ende bleibt die Einsicht, dass die Dialogpartnerinnen in dem Kummer um den Tod des Vaters und im Bemühen um Verständnis für eine Schwester nicht in Übereinstimmung zu bringen sind. Zu widersprüchlich sind die Gefühlswelten, in denen sich die beiden bewegen.
Ein aufrüttelndes Stück Zeitgeschichte liegt mit diesem Buch vor. Man sollte es lesen!