Heideggers abfällige Bemerkungen zur christlichen Theologie, auch zur 'pseudotheologischen Luft' an der Nachkriegsuniversität, die ihm sehr zu schaffen mache, lassen die pointierte Deutung von Heideggers unausgesprochenen Absichten bedenkenswert erscheinen: »Indem er [Heidegger] sich gegen das kirchliche System der Heilssicherung wandte, glaubte er vielleicht selber noch 'christlicher' zu sein als die offizielle Theologie« (Jean Grondin).
Hans-Georg Gadamer sah hinter Heideggers Versuch der Destruktion der abendländischen Philosophie »das alte, wohlbezeugte Anliegen Heideggers an der originären christlichen Botschaft«.
Heideggers Beziehung zum christlichen Glauben war - nach der anfangs klaren Zustimmung - in seiner mittleren Zeit gestört und in seinen späteren Jahren schwankend und zwiespältig geworden. Aber das tiefe Interesse an der Aneignung der christlichen Tradition ist aus seinen Schriften und Vorlesungen, aus Briefen, Seminarprotokollen und Berichten belegt. Das 2006 veranstaltete Mainzer Symposion zum 30sten Todestag Heideggers galt der Erörterung seiner Beziehung zur christlichen Überlieferung an ausgewählten Stationen seines Denkwegs.
Heidegger selbst hat die Frage nach seiner 'Herkunft' aus dem Christlichen ausdrücklich bejaht. Neu publizierte Texte in der 'Ausgabe letzter Hand' förderten bisher unbeachtete Perspektiven ans Licht, die zu einem klareren Bild führen. Bereits in seiner frühen Vorlesung Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks (1920) verkündete Heidegger programmatisch: »Es besteht die Notwendigkeit einer prinzipiellen Auseinandersetzung mit der griechischen Philosophie und der Verunstaltung der christlichen Existenz durch sie. Die wahrhafte Idee der christlichen Philosophie; christlich keine Etikette für eine schlechte und epigonenhafte griechische. Der Weg zu einer ursprünglichen christlichen - griechentumfreien - Theologie«.
Der Band nimmt Heideggers Stellung zu den Autoren in den Blick, die für seinen Rekurs auf das christliche Erbe besonders wichtig waren.
Hinweis des Verlages. Herrmann Heidegger hat den Verlag aufgefordert, zu dem Beitrag von Otto Pöggeler auf Seite 183 klarzustellen, dass Martin Heidegger seine politische Haltung zu keiner Zeit zu dem Entschluß geführt habe, »aus dem Leben zu scheiden«. Diese Behauptung sei unseriös und nicht zu begründen. Wir kommen dem Wunsch von Herrmann Heidegger hiermit nach.
Inhaltsverzeichnis
1;Vorwort;6 2;Inhalt;8 3;Die christliche Botschaft und das Denken Heideggers;10 4;Faktische Lebenserfahrung und urchristliche Religiosität;22 5;Logos und Anfang;34 6;Selbstsein und Gottsuche;56 7;Heideggers frühes Bemühen um eine Flüssig-machung der Scholastik und seine Zuwendung zu Johannes Duns Scotus;92 8; Warum denn das Warum?;130 9;Sagen, was Sache ist: der Blick auf die Wahrheit der Existenz;150 10;Heideggers Weg von Luther zu Hölderlin;168 11;Heidegger und Pascal eine verwischte Spur;190 12;Sprachen des Heiligen. Heidegger und Hölderlin;208 13;Freiheit und Angst;220 14;Dichten und Denken: Bemerkungen zu Rilke und Heidegger;246 15;Siglen und Hinweise zur Zitation;266 16;Literaturverzeichnis;268 17;Personenregister;286