Die hier vorliegende sorgfältig edierte und mit vielen aufschlussreichen und hilfreichen Anmerkungen versehene Ausgabe des Briefwechsels zwischen Willy Brandt, zunächst noch Regierender Bürgermeister von Berlin, später Bundeskanzler der ersten sozialliberalen Koalition und dem Schriftsteller Günter Grass ist nicht nur für Freunde von Günter Grass sehr aufschlussreich, sondern ist auch ein zeitgeschichtliches Dokument, das ein wichtiges Schlaglicht wirft auf das Bündnis von Macht und Geist in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
Auf 1200 Dünndruckseiten werden 288 Briefe, Telegramme und Postkarten dokumentiert und ergänzt durch viele Dokumente und Abbildungen. Nur etwa ein Viertel der Korrespondenz umfassen die Briefe von Willy Brandt, der immer wieder, in späteren Jahren zunehmend genervt auf einen Schriftsteller reagiert, der in Willy Brandt schon früh so etwas wie eine zukünftige Lichtgestalt der deutschen Politik sah und sich unentwegt mit Ideen, Berichten, Vorschlägen, politischen Analysen und sogar Personalvorschlägen einmischt.
Vor allem wegen der Briefe von Grass ist dieser Briefwechsel interessant, denn das Leben und Wirken von Brandt ist durch viele Biografen ausreichend erforscht und belegt. Es erstaunt bei der Lektüre immer wieder, mit welchem fast unheimlichen Engagement sich der junge Grass in die Politik einmischt. Zwar hat er sich auch in späteren Jahren bis hin zu seinem umstrittenen Gedicht über Israel engagiert und seine Meinung gesagt, doch es erstaunt doch, mit welcher für sein damaliges Alter ungewöhnlichen Weitsicht und Kenntnis, ja Klugheit er die Phänomene der Politik beschreibt.
Sicher hat er selbst lange den Traum vom politischen Intellektuellen geträumt, den auch Jürgen Habermas zeitweise befüttert hat. Beide, Grass noch viel mehr als Habermas, haben nicht nur zur Modernisierung der SPD beigetragen, sondern waren auch wichtig für die Bonner Republik.
Dem an deutscher Geschichte interessierten Zeitgenossen bietet die Lektüre, auch die kursorische, eine Menge neuer und tiefer Einblicke in eine Zeit, die er, wenn er alt genug ist, selbst miterlebt hat und die er vielleicht schon längst ausreichend zu kennen glaubte.