Mit ihrem Roman "All die verdammt perfekten Tage" hat Jennifer Niven mich letztes Jahr absolut überzeugt und so war für mich klar, dass ich auch ihren zweiten auf Deutsch veröffentlichten Roman, "Stell dir vor, dass ich dich liebe", unbedingt lesen muss. Die Erwartungen an Schreibstil und Geschichte waren also hoch und so viel kann ich schon mal vorweg sagen: sie wurden durchaus erfüllt.
In "Stell dir vor, dass ich dich liebe" geht es um Jack und Libby. Jack leidet unter der sogenannter Gesichtsblindheit - er kann Menschen nicht anhand ihrer Gesichtszüge erkennen. Stattdessen versucht er sich allerhand andere Merkmale einzuprägen und jegliche Verwechslungen mit Coolness zu überspielen. Das gelingt ihm so gut, dass niemand etwas von der Krankheit ahnt und er zur Ton angebenden Clique seiner Schule gehört. Diese ist bei weitem nicht die netteste der Schule und so ist auch Jack immer wieder zu Mobbing-Aktionen gezwungen, wenn er es sich nicht mit seinen Freunden verscherzen will. Libby hingegen ist zu Beginn des Romans noch in gar keiner Clique, denn sie kommt nach Jahren erst wieder zurück. Sie ist stark übergewichtig und damit das gefundene Mobbing-Opfer für die Coolen der Schule. Doch zum Glück ist sie nicht auf den Mund gefallen und steht zu sich selbst.
Damit ist sie anfangs die bei weitem Sympathischere von den beiden Protagonisten. Sie überzeugt durch Stärke, Humor und ihre beeindruckende Grundhaltung. Ich hab sie gleich ins Herz geschlossen und sie ist eine der überzeugendsten Protagonistinnen, der ich in der Jugendliteratur bisher begegnet bin. Auch mit Jack freundet man sich nach und nach an - dabei hilft es sehr, dass man einen Teil der Kapitel aus seiner Perspektive liest und so versteht, was seine Beweg- und Hintergründe sind. Neben den beiden überzeugenden Protagonisten begeistert das Buch vor allem mit den Interaktionen zwischen ihnen. Von dem Schlagabtausch zu Beginn bis zur ausgesprochen niedlichen Annäherung - die Chemie zwischen ihnen stimmt einfach und zaubert beim Lesen mehr als einmal ein Lächeln auf die Lippen des Lesers.
Das lässt dann auch über die eine oder andere überdramatisierte Entwicklung in der zweiten Hälfte des Romans hinwegsehen. Bis dahin ist die Handlung schlüssig und interessant, aber dann bringt die Autorin zum Spannungsaufbau die eine oder andere Wendung, die mich nicht überzeugen konnte. Aber da liest man schnell drüber hinweg und das Ende hat mir dann wieder gut gefallen.
Ebenfalls gut gefallen hat mir der Schreibstil von Jennifer Niven. Das Buch liest sich leicht und flüssig. Der Schreibstil passt zu den Protagonisten und sie sorgt mit viel Humor und Wortwitz immer mal wieder für ein Schmunzeln. Gleichzeitig finden sich aber auch so einige Sätze in dem Buch, die man mehrmals lesen muss, weil sie so bewegend sind.
Die Mischung aus all diesen Punkten ergibt ein sehr empfehlenswertes Jugendbuch! "Stell dir vor, dass ich dich liebe" bewegt sich abseits vieler bekannter Klischees und bietet einige sehr berührende und unterhaltsame Lesestunden!
Das Cover kann mit dem großartigen Inneren leider in meinen Augen nicht ganz mithalten. Es ist zwar schön, dass es trotz Verlagswechsel zum ersten Buch von Jennifer Niven passt, aber mich überfordert das grelle Pink doch ein wenig. Das Motiv selbst finde ich schön, allerdings ist es schade, dass bei der Figur, die scheinbar Libby darstellen soll, auf ihre im Buch beschriebenen Proportionen verzichtet wurde.