Ortheil schafft es sehr gut, Stimmungen zu transportieren, insbesondere auch, einen in Urlaubs- und Reisestimmung zu versetzen. Auch Spannungsmomente baut er teilweise geschickt auf, so dass das Lesen kaum langwierig wird. Man liest durchaus gerne zu Ende, ohne jemals ans Weglegen zu denken. Auch spürt man, dass hier ein kluger Autor am Werk ist, was ich grundsätzlich sympathischer finde als die Werke weniger kluger Autoren zu lesen.
Allerdings flachen die Spannungsmomente teilweise recht schnell wieder ab. Man vermisst etwas den großen Spannungsbogen und die überraschenden Wendungen. "Die große Liebe" muss eigentlich nicht wirklich große Hindernisse überwinden, so dass man sich zu der Frage gedrängt sieht, ob es wirklich berechtigt ist, hier von einer "großen Liebe" zu sprechen. Hinzu kommt, dass sich diese "große Liebe" gerade mal über einen Zeitraum von wenigen Wochen erstreckt. Auch dieser Umstand erhärtet nicht unbedingt den Anspruch des Titels. Was aber noch schwerer wiegt, ist, dass einem die Hauptfigur des Fernsehredakteurs seltsam fremd bleibt. Ich weiß nach der Lektüre nicht einmal, wie die Hauptfigur überhaupt aussieht und nach ein bis zwei Wochen habe ich bereits ihren Namen wieder vergessen. Dies ist vielleicht bezeichnend für die Figur und damit vielleicht auch für den Roman. Aber das ist nur das Äußerliche. Schlimmer ist, dass man im Grunde nicht sehr viel über das Innenleben der Hauptakteure erfährt. Der Roman bleibt, was die Charaktere anbelangt, erstaunlich flach, was mich doch sehr verwundert, da ich Ortheil, den ich bei einem persönlichen Interview mit anschließender Lesung erlebt habe und aus diversen Fernsehauftritten kenne, für einen außerordenlich klugen und sympathischen Zeitgenossen halte. Seine schriftstellerischen Fähigkeiten haben micht nur ansatzweise überzeugt. Bisweilen erweckt es den Eindruck, dass Ortheil - der einzige Professor in Deutschland mit einem Lehrauftrag für kreatives Schreiben - zwar weiß, welche Zutaten es für einen Roman benötigt, dass aber die echte literarische Leidenschaft und Tiefe leider doch fehlen.
So bleibt letztlich festzuhalten: Ortheils "Die große Liebe" ist zwar durchaus lesenswert in dem Sinne, dass es nicht schade ist um die Zeit, die man bei der Lektüre verbringt und die Lust zu verreisen wird lebhaft in einem geweckt, ein großer Roman ist es aber sicherlich nicht, sondern eben doch nur gehobenes Mittelmaß.