Über Professor Dr. Ferdinand Sauerbruch gibt es eine Vielzahl Abhandlungen, Biografien, Filme - fast alle rücken ihn in die Nähe der Naziregimebefürworter. Straßen und Schulen mit seinem Namen müssten nun dringend umbenannt werden, hieß es sogar.
Gleich in seiner Einleitung weist Dr. Christian Hardinghaus diesen Werken schlampige Recherche mit mangelnden Quellenangaben und ein beständiges voneinander Abschreiben nach. Sein Buch soll eine umfassende, genaue Darstellung des - oft recht widersprüchlichen - Menschen und Arztes in seiner Rolle im NS-Regime vorlegen, Lücken im Lebenslauf auffüllen und Irrtümer und Missdeutungen beseitigen.
Und, um es gleich vorweg zu nehmen, dies ist vorzüglich gelungen.
Zunächst gibt es eine Zusammenfassung wichtiger Lebensdaten, fernab von politischen Einflüssen und Einstellungen. Es folgt ein historischer Abriss zur Geschichte der Charité - vom Pesthaus zur modernsten deutschen Klinik. Der Autor beschäftigt sich dann mit häufigen Kritikpunkten an Sauerbruch und setzt eine Übersicht seiner Widerstandstätigkeit dagegen. Hardinghaus hat dazu neue Quellen erschlossen, insbesondere ein Tagebuch des zwangsverpflichteten Chirurgen Adolph Jung, und kann so belegen, dass Sauerbruch insgeheim mit Gegnern des Nazi-Regimes zusammengearbeitet hat. Abschließend geht es um die letzten Kriegswochen im Operationsbunker der Charité (in dem er jüdische Kranke versteckte), den Einmarsch der Russen und die Entstehung seiner Autobiografie in den 50er Jahren.
Für mich ergaben sich viele interessante Aspekte aus Leben und Wirken dieses begnadeten Arztes, der oft an drei Operationstischen gleichzeitig arbeitete. Viele medinzintechnische Innovationen sind auf ihn zurückzuführen, so entwickelte er eine Unterdruck-Kammer für Thorax-Operationen und konstruierte erstmalig funktionierende, bewegliche Arm- und Beinprothesen.
In der sogenannten Mittwochsgesellschaft traf er sich mit Wissenschaftlern, Unternehmern, Politikern, Künstlern zur wissenschaftlichen Unterhaltung . Die Einstellung einiger Mitglieder zur Politik der Nationalsozialisten wechselte in den dreißiger und vierziger Jahren zu eindeutiger Gegnerschaft und die Gesellschaft wurde wegen Nähe zu den Widerstandskämpfern des 20.Juli von der Gestapo aufgelöst. Sauerbruch wurde mehrfach vom Chef der Gestapo, Ernst Kaltenbrunner, verhört.
Christian Hardinghaus schreibt ausgesprochen fesselnd und interessant und ich kann das Buch kaum aus der Hand legen. Dabei werden komplexe wissenschaftliche und politische Ereignisse sehr gut aufbereitet und vermittelt. Fotos, Anmerkungen, umfangreiche Quellenangaben und ein exzellentes Nachwort runden das Bild ab. Ein tolles Buch der Medizingeschichte, das ich nun noch mit einem weiteren Buch des Autors ( Die Spionin der Charité ) ergänzen werde.