Die größte Überraschung beim Lesen des Romans ist, dass die ikonischste aller Szenen, nämlich die Erweckung des Monsters zum Leben durch Blitze ("Es lebt!") gar nicht vorkommt. Da hat also später Hollywood ganze Arbeit geleistet. Es spricht aus heutiger Sicht auch sonst vieles gegen den Roman: Die altmodische Sprache, die unglaubwürdigen Nebenhandlungen, die moralinsaure Erzählweise, die teils langatmigen Beschreibungen und Abschweifungen, die (unnötig?) verschachtelte Erzählstruktur - all das erscheint einfach nicht mehr zeitgemäß.
Und doch: Je länger man im Buch 'drin' ist, umso mehr zieht einen diese Geschichte auch heute noch in ihren Bann. Die aufgworfenen Fragen sind ohne Frage universeller Natur. Ob man soweit gegen mag, dem Werk in Zeiten der aufkommenden KI wieder mehr Aktualität zuzusprechen - darüber ließe sich trefflich streiten. Ganz falsch ist dieser Interpretationsansatz m. E. nicht.
Die Penguin-Ausgabe bietet eine gute Übersetzung, soweit ich das beurteilen kann. Vor allen Dingen glänzt sie aber mit vielen interessaten Anmerkungen, die sich als Endnoten über den Tolino bequem aufrufen lassen.
Es lohnt sich, den Frankenstein zu lesen. Denn allen genannten Schwächen zum Trotz ist das immer noch eine ganz große, beeindruckende Geschichte.