Als Der Vertraute fühlt sich mit seinem Erzählton im ersten Moment nach einem Märchen an. Mir gefällt das, denn der Schreibstil und die Art wie die Worte fließen, nehmen mich sofort gefangen und ich tauche tief in die Welt von Luzia Cotado ein. Sie ist Küchenmädchen in einem glanzlosen Haus und um die Arbeit erträglicher zu machen, verwendet sie ein bisschen Magie. Ihre Refraines nutzt sie für gutes, vermehrt Gemüse oder macht aus verbranntem Brot ein schönes mit golden brauner Kruste. Doch das hat seinen Preis, als ihre Herrin dies mitbekommt.
Schauplatz der Geschichte ist Spanien in seinem goldenen Zeitalter. Der Hauptschauplatz ist Madrid und so sind auch die Figuren mit spanischen Namen ausgestattet. Mir machen die Namen kaum Probleme, ein Vorteil ist hier definitiv auch, dass ich Der Vertraute parallel als Hörbuch gehört habe. Yeim Meisheit schafft es gemeinsam mit Leigh Bardugos Können bildgewaltig zu erzählen und diese ungewöhnliche Geschichte lebendig werden zu lassen.
Mich fasziniert es ungemein, wie elegant die Autorin mich in das Leben der unterschiedlichen Figuren und ihre Vergangenheiten einführt.
Der personale Erzähler führt konsequent durch Der Vertraute, wechselt aber auch innerhalb der Kapitel die Perspektive. Der Übergang ist dabei sehr fließend, sodass ich nicht aus dem Lesefluss gerate.
Ein weiterer Vorteil der unterschiedlichen Perspektiven ist, dass der Handlungsaufbau mehr Tiefe erhält und dafür sorgt, dass sich alles konsequent weiterentwickelt. Nichts wird mehrfach wiederholt, was für ein rasches Erzähltempo sorgt.
Leigh Bardugo hat eine sehr komplexe Welt erschaffen und diese in authentisch historischen Kontext gebettet. Der Vertraute spielt im späten 16. Jahrhundert, zu der Zeit also, als das Goldene Zeitalter Spaniens ganz langsam anfing seinen Glanz zu verlieren. Die Figuren aus Der Vertraute sind so intensiv ausgearbeitet worden, dass sie perfekt in die damalige Zeit passen. Hinzukommt, dass die Charaktere so angelegt sind, wie es die damaligen politischen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen zuließen. Spannend finde ich dabei besonders die gravierenden Unterschiede zwischen den einzelnen Gesellschaftsschichten, die mit einer Leichtigkeit verständlich erläutert werden.
Der Vertraute entführt mich in eine Welt der politischen Ränkespiele, an dessen Abgrund mit gierigem Schlund die Inquisition lauert. Reale geschichtliche Persönlichkeiten, wie die prophetische Träumerin Lucrecia de León, Spaniens König Philipp II. oder Antonio Pérez machen diese Geschichte zu etwas Rund verströmen dadurch den Hauch von So könnte es gewesen sein.
Ich liebe es, wie die Autorin die verschiedenen Elemente ihrer Geschichte zu einem stimmigen, spannungsvollen und mitreißenden Gesamtbild verschmilzt.
Die magischen Augenblicke fügen sich nahtlos zu den realistischen Handlungen zusammen, vereinen fiktive und authentische Personen dieses Zeitalters so mühelos miteinander, dass ich ganz in Der Vertraute versinken kann.
Die Mixtur in Der Vertraute ist ausgeklügelt und lässt sich nicht in ein bestimmtes Genre pressen. Die Basis bildet der historische Roman, der mich zurück in eine Zeit blicken lässt, die sowohl von verschiedenen heimlichen Religionen als auch den Schrecken von König Philipp II und der Inquisition geprägt ist. Wo jedes Wort und jede Handlung schnell das Todesurteil bedeuten kann, wenn es die falschen Augen und Ohren wahrnehmen.
Die Füllung wird mit kleiner Magie und Unsterblichkeit, mit Flüchen und Illusionen angereichert, die sich wunderbar mit der Basis vereinen lassen. Das Topping besteht aus einer rührenden und leicht erzählten Liebesgeschichte, dessen Handlungsspielraum sehr klein ist, mir aber dennoch sehr nahegeht.
Der Vertraute hält eine ganze Bandbreite an Emotionen bereit, wartet mit düsteren und bedrohlichen Atmosphären auf, die jedoch gern mit lichtgefluteten Momenten unterbrochen werden und Wärme verströmen. Alles wirkt ein wenig geheimnisvoll, was den Drang erhöht, immer mehr erfahren zu wollen.
Am meisten ins Herz geschlossen habe ich die Protagonistin Luzia. Sie ist eine sehr starke Persönlichkeit und durch die verschiedenen Sichtweisen auf sie wird klar, dass viele Menschen sie unterschätzen, weil Küchenmädchen einfach nur dumm und einfältig sein können. Das Spiel mit den Kontrasten ist hervorragend gelungen.
Generell überraschen mich im Verlauf so einige Charaktere. Sie entwickeln sich alle stetig weiter, manche zum Vorteil, andere zum Nachteil. Alles hat seinen Preis und dies lässt sich in jeder Zeile herauslesen.
Nie habe ich auch nur den Hauch einer Ahnung, wohin die einzelnen Entscheidungen der Figuren die Ereignisse führen werden. Alles entwickelt sich logisch und schlüssig weiter, Charaktere wachsen über sich hinaus oder scheitern an ihrem eigenen Ehrgeiz, ihrer Arroganz und Rücksichtslosigkeit.
Der Vertraute ist gespickt mit brutalen Sequenzen, leichtem Liebesgeflüster und tiefsinnigen Überlegungen sowie Gesprächen.
Ganz besonders gelungen finde ich, dass Leigh Bardugo jeden noch so kleinen Handlungsfaden zu Ende webt und alles zu einem großen Ganzen zusammenfügt. Nichts ist unbedeutend und alles spielt eine wichtige Rolle.
Die Handlungen steuern auf ein großes Finale zu und mich befällt Angst es zu lesen. So ausweglos scheint alles, so düster und verloren. Mir fehlt es an Fantasie, wie alles enden könnte, und befürchte das Schrecklichste.
Doch ich habe Vertrauen in die Autorin und in Luzia. Dies wird mit einem wunderschönen stimmungsvollen Ende belohnt, bei dem keine einzige meiner Fragen offenbleibt.
Fazit:
Ein atmosphärisch dichtgewebter Roman, der in die düsteren und gefährlichen Zeiten Ende des 16 Jahrhunderts führt und mit faszinierender Fantasy und einem Hauch Liebesgeschichte angereichert ist. Eine absolute Leseempfehlung!