In Pierre Jarawabs "Frau im Mond" erzählt Ich-Erzählerin Lilit die Geschichte ihrer Familie. Von ihr selbst bekommt man vergleichsweise wenig mit. Stattdessen erzählt sie von ihrem Großvater, der mit seiner Familie aus dem Libanon nach Kanada ausgewandert ist, von ihren Eltern, von der Großmutter, die sie nie kennengelernt hat. Deren Lebensgeschichten werden dabei nicht durchweg chronologisch erzählt. Stattdessen springt die Handlung hin und her, Gegenwart und verschiedene Etappen der Vergangenheit wechseln sich ab. In gewisser Weise erinnert dieser Aufbau an das Cover des Romans lauter Gegenstände zusammengewürfelt, aber irgendwie ergeben sie doch ein Bild. Diese Erzählweise habe ich zwar teilweise, vor allem zu Beginn der Geschichte, als recht verwirrend empfunden. Allerdings gewinnt der Roman dadurch eine ganz eigene Erzählweise. Es rückt den Fokus sehr eindrücklich auf das Erzählen, das Weitergeben, das Wiedergeben, das Erinnern. Lilit erzählt von den Geschichten, die sie aus ihrer Kindheit kennt, von den Gesprächen, die sie in der Gegenwart mit ihrem Großvater über seine Vergangenheit führt, von den Dingen, an die sie sich selbst erinnert.
So werden viele verschiedene Themen angesprochen, jedoch ohne dass der Roman vollgestopft wirkt. Es ist eine Geschichte über Familien. Eine Geschichte über den Libanon, seine Geschichte, die aktuelle Krise. Über das Auswandern und über das Ankommen in einem fremden Land. Über den Völkermord an Armeniern. Über Raketenwissenschaft. Eine Geschichte darüber, wie wichtig Geschichten sind, wie wichtig Geschichte ist. Und wie wichtig es ist, nicht zu vergessen. Über die Macht von Büchern und Filmen und Bildung. Über Menschen mutig genug sind, für Veränderung einzutreten. Sehr einfühlsam erzählt Lilit von den Schicksalen ganz unterschiedlicher Menschen in verschiedenen Zeiten. Überhaupt beinhaltet der Roman sehr vielschichtige Charaktere, die allesamt interessant und berührend sind.
Für mich war dies eine faszinierend erzählte Geschichte, die in Erinnerung bleibt und Mut macht, in der beängstigenden Zeit, in der wir leben.