Was bleibt, wenn Worte fehlen? "Die Summe unserer Teile" von Paola Lopez wagt den Blick hinter die stillen Mauern einer Familie, die über drei Generationen hinweg aneinander vorbeilebt verbunden durch das Unsagbare und getrennt durch Schweigen.
Im Zentrum stehen drei Frauen: Lucy, eine junge Informatikstudentin in Berlin, ihre Mutter Daria, eine Ärztin mit rationalem Blick aufs Leben, und Großmutter Lyudmila, einst Chemikerin im Libanon mit polnischen Wurzeln. Jede dieser Frauen ist geprägt von ihrer Zeit, ihrem Beruf und den Erfahrungen, die sie gemacht oder verdrängt hat. Doch statt eines offenen Austauschs dominieren Missverständnisse, Sprachlosigkeit und Rückzug. Erst ein scheinbar zufälliges Ereignis ein Flügel, der plötzlich in Lucys WG steht löst eine Kette von Fragen aus, die sie auf eine Reise zu ihrer Herkunft führt. Dabei eröffnet sich Stück für Stück eine Familiengeschichte, die von Flucht, Verlust, aber auch von Stärke und Selbstbehauptung erzählt.
Lopez verwebt die drei Erzählstränge elegant miteinander. Sie springt zwischen Orten und Zeiten Beirut in den 1940ern, München in den 1970ern und Berlin im Jahr 2014 und lässt so die Lebensrealitäten der Frauen aufeinanderprallen. Die thematische Klammer bildet die Naturwissenschaft: alle drei Protagonistinnen haben ein Faible für Logik, Forschung und Präzision. Das spiegelt sich auch im Sprachstil der Autorin wider, die selbst Mathematikerin ist. Ihre bildhaften Vergleiche sind originell, manchmal pointiert, gelegentlich aber auch bemüht.
Was der Sprache an Raffinesse gelingt, gelingt den Figuren nicht immer. Trotz starker Lebensentwürfe bleiben sie stellenweise blass als hätten auch sie sich selbst verloren im Dickicht des Ungesagten. Besonders in der Beziehung zwischen Lucy und Daria schmerzt die emotionale Distanz, die nicht durch Gespräche, sondern durch Rückblenden und Reflexionen aufgelöst wird. Das kann frustrieren, ist aber auch Teil der Erzählintention: Die Verletzungen zwischen Müttern und Töchtern liegen oft nicht im Gesagten, sondern im Verschwiegenen.
"Die Summe unserer Teile" ist kein lauter Roman. Er lebt von den Zwischentönen, vom Bruchstückhaften, das sich wie in einem Mosaik erst allmählich zu einem Bild fügt. Dabei spricht er von Entwurzelung, von weiblicher Selbstbehauptung und von der Frage, ob man jemals ganz wird oder eben nur die Summe der Teile bleibt, die andere einem hinterlassen haben.
Fazit:
Ein kluger, stellenweise sperriger, aber poetischer Roman über drei Generationen, die mehr miteinander verbindet, als sie je zugeben würden. Empfehlenswert für Leser, die sich auf eine stille, fragmentarische Familiengeschichte mit intellektuellem Tiefgang einlassen möchten.