Nachdem die Erde dem Untergang geweiht ist, verläßt eine Gruppe Menschen ihren Heimatplaneten um eine neue Bleibe zu finden. Der auserwählte Mond Perm bietet keine optimalen Voraussetzungen, aber die Menschen wollen sich ihn zum Untertan machen. Henry Meadows verunglückt mit seinen Geschwistern und seinem Vater bei der Ankunft, aber mit Müh und Not gelingt es ihnen, die sicheren Biome zu erreichen. Doch wo ist nur ihre Mutter, die schon längst hier sein sollte? Es beginnt ein beschwerlicher Spießrutenlauf, um die Wahrheit über deren Verbleib herauszufinden - und auch die Frage, ob Perm tatsächlich zur neuen Heimat werden kann.
Nils Westerboer gelingt es in "Lyneham" auf großartige, reflektierte Art und Weise die menschliche Existenz und die steten ethischen Fragen um die Legimitation des Fortbestehens der Spezies mit allen erforderlichen Mitteln anhand einer spannenden und vielschichtigen SciFi-Geschichte zu diskutieren. Ist es gerechtfertigt, anderes Leben zu töten, damit wir weiterbestehen können? Dürfen wir die Lebensbedingungen so anpassen, dass wir unsere Bedürfnisse erfüllen können, koste es was es wolle?
Dem Autor gelingt es mit einer fast magischen Sprache eine spezielle Atmosphäre zu schaffen - er erweckt die fiktive Welt Perms zum Leben, beschreibt sie so liebevoll und detailliert, dass die Lesenden seine Welt im Kopf vor Augen sehen. Er schafft den Schritt aus dem eigenen Denken und kreiert Welten, die man sich als Erdenbürger:in nur schwer vorstellen kann. Die ganze Geschichte, die vielfältig beschriebenen Beziehungen sind komplex und werden stets neu- und weiterverhandelt. Im Fokus stehen Vertrauen und Wahrheit, Schein und Sein. Die Technologie ist der Menschen Untertan, aber kann ein Neuanfang auch die Abschaffung menschlicher Hierarchien bedeuten? Westerboer glaubt nicht daran, auch wenn seine Figuren lange daran festhalten. Er kennt das Wesen des Menschen, philosophiert auf eindringliche Art darüber, um zum Schluss zu kommen, dass wir wohl nie aus Fehlern lernen werden. Aber es gibt auch Hoffnung und diese heißt Empathie. Sie reicht für die eigene Spezies, aber wird sie auch für Fremde reichen?
Direkt und teilweise brachial wirken die nüchternen Betrachtungen der Charaktere, regen aber kontinuierlich zum Nachdenken und Reflektieren an: "Eine Gesellschaft, deren Mitglieder glauben, etwas zu haben, unterliegt einer fundamentalen Illusion, die ihr unweigerliches Scheitern nach sich ziehen muss." (S. 159) Das sitzt und berauscht ob seiner scharfen Beobachtungsgabe.
Neben all dem Philosophischen und Existenziellen reißt auch die Geschichte einen mit, getragen von der besonderen Atmosphäre Perms mit all seinen unsichtbaren Lebewesen. Die Geschichte erzählt sich aus Henrys Perspektive und jener seiner Mutter, die in unterschiedlichen Zeiten leben und doch stark verbunden sind. Die Existenz aller ist ein großes Rätsel, das am Ende in weiten Teilen aufgelöst wird.
Mein Fazit: Lyneham ist ein absolut lesenswerter SciFi-Roman, der die großen Fragen um die verändernden Eingriffe der Menschen stellt und neben einer großartigen Geschichte auch noch zum Philosophieren und Reflektieren einlädt. Ein großes Highlight, das nicht nur für SciFi-Leser:innen geeignet ist, sondern für alle, die unser Tun hinterfragen möchten.