"Erzähl mir eine Geschichte, die du sonst nur dir erzählst." (S. 246) dieser Satz steht sinnbildlich für den Ton und die Atmosphäre von Bestie: nah, intim, manchmal schmerzhaft ehrlich. Joana June, 1996 in München geboren, studierte professionelles Schreiben in Köln und teilt auf Social Media Buchempfehlungen und ihren Schreibprozess mit einer treuen Community. Mit Bestie legt sie ihr Debüt vor und zeigt, dass sie Figuren erschaffen kann, die nicht gefällig, sondern vielschichtig und widersprüchlich sind.
Worum gehts genau?
Als Influencerin Anouk eine neue Mitbewohnerin sucht, zieht Delia fortan Lilly bei ihr ein. Für Lilly ist es die Chance auf einen Neuanfang als selbstbewusste Bühnenautorin, für Anouk eine Möglichkeit, Lilly für ihre eigenen Pläne zu nutzen. Zwischen Hamburg, Social-Media-Glamour und Theaterproben entwickelt sich eine Beziehung, die zwischen Zweckgemeinschaft, Machtspiel und echter Nähe oszilliert. Dabei müssen beide sich fragen, wer sie sind und welche Wahrheiten sie bisher verschwiegen haben.
Meine Meinung
Was mich an Bestie sofort gepackt hat, ist, wie kompromisslos unperfekt Lilly und Anouk gezeichnet sind. Sie sind widersprüchlich, oft unsympathisch, aber immer interessant. Beide hungern nach Zugehörigkeit: Lilly fast verzweifelt nach Liebe, Anouk nach echter Anerkennung und beide stillen diesen Hunger ein Stück weit miteinander. Der Roman zeigt die dunklen Seiten von Social Media: den Druck, immer on zu sein, die Abhängigkeiten, das Funktionieren-Müssen. Besonders Anouks Unterordnung unter Nessie, trotz deren übergriffigem Verhalten, hat mich wütend gemacht.
Lilly hingegen bleibt für mich zwiespältig ihre manipulativen Züge wie das Vortäuschen einer Ohnmacht wechseln sich ab mit verletzlichen Momenten. Szenen wie Anouks Konfrontation mit Matti zeigen gnadenlos, wie schnell ein kleiner Fehler online zum Shitstorm wird und wie Frauen dabei härter verurteilt werden als Männer. Auch familiäre Beziehungen spielen eine Rolle: Anouks fehlender Rückhalt von ihrer Mutter, die unterschwellige Erwartung, mehr sein zu müssen, und das distanzierte Verhältnis zur Schwester.
Starke Sätze wie Eigentlich sind Partys Männern nicht unähnlich beide sind schwitzig, zu laut und versprechen zu viel (S. 45) oder Manchmal wünschte ich, die Welt stünde Kopf, sodass ich aus ihr herausfallen könnte (S. 63) zeigen, wie pointiert June schreibt. Besonders beeindruckt hat mich das Zitat: Die offene See ist weiblich, so wie die Bestien, die aus ihr entspringen. [] Ich halte und spüre die Wut. Sie ist nicht mehr nur meine eigene. Sie ist so viel mehr als das. (S. 312) pure Kraft, literarisch verdichtet.
Das Motiv Bestie durchzieht den Text vielschichtig vom Hund Grendel bis zur Enthüllung, wer für die Erzählerin wirklich die Bestie ist und natürlich Besties im Sinn von Freund:innen. Dazu streut der Roman immer wieder Beobachtungen ein, die gesellschaftliche Muster sichtbar machen, etwa: Mit der Sprache ist es für Mädchen wie mit Puppen und Pferden: Man sagt uns oft, dass wir gut damit umgehen können, bis wir anfangen, es zu glauben. (S. 36 f.)
Fazit
"Bestie" ist kein Buch zum Weglesen, sondern eines, das herausfordert. Es wirft Fragen zu Identität, Freundschaft, Macht und Selbstinszenierung auf und scheut sich nicht, Figuren unsympathisch zu lassen. Der Schreibstil ist stark, manchmal scharf wie Glas, manchmal sanft und verletzlich. Für mich ein interessantes, aber emotional forderndes Debüt, das gerade durch seine Ambivalenz im Gedächtnis bleibt.